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Mädchen und der Leibarzt

Mädchen und der Leibarzt

Titel: Mädchen und der Leibarzt
Autoren: S Beerwald
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das Schlosstor fuhren und in einem kleinen Innenhof hielten, wo mit Mühe zwei Kutschen nebeneinander Platz fanden.
    Während man die Verletzte unter den entsetzten Blicken der Stiftsbediensteten auf ihre Gemächer trug, blieb Helena unbeachtet in der Kutsche zurück. Sie spähte aus dem Fenster und rutschte nervös auf der Bank hin und her. Als sie langsam zur Überzeugung gelangte, man habe sie vergessen, kam Sebastian zurück und bat sie, ihm zu folgen.

    Sein schlanker, drahtiger Körperbau und die hohen Wangenknochen erinnerten sie an einen asketischen Mönch, der aufrecht und besonnen daherschritt. Keine Spur von Eile in dem forschen, aber in sich ruhenden Gang.
    Sie betraten den vorderen Teil des hufeisenförmigen Gebäudes und gelangten in einen halbdunklen Vorraum, in dem Porträts von Damen mit strengem Gesichtsausdruck hingen. Eine schmale, leicht gewundene Holztreppe führte in das erste Stockwerk hinauf, und vor der Flügeltüre legte Sebastian den Zeigefinger auf seine Lippen. Bisher war kein Wort zwischen ihnen gefallen, und Helena hielt die Luft an, um tatsächlich jegliches Geräusch zu vermeiden.
    Bereits in Verbeugung verharrend klopfte Sebastian an und auf ein dünnstimmiges ›Herein‹ hin drückte er die Türklinke nieder.
    Über Sebastians Schulter hinweg sah Helena in einen kleinen Raum hinein, in dem dunkelblaue Samtvorhänge das Licht aussperrten und lediglich zwei üppige Kerzenleuchter die Bettstätte erleuchteten. Die Fürstin saß bleich, gestützt durch etliche Kissen im Rücken und beschirmt von einem einfachen Baldachin, in einem schmalen, keineswegs fürstlichen Bett.
    »Gott zum Gruße …«, beschied ihr die Verletzte mit schwacher Stimme und winkte sie heran. »Wie ist dein Name?«
    »Helena … Helena Fechtner«, gab sie verbunden mit einem Knicks zur Antwort; noch immer wusste sie nicht, wen genau sie vor sich hatte. Doch diese Respektsbezeugung erschien ihr in jedem Fall angebracht.
    »Willkommen im kaiserlichen freien weltlichen Damenstift zu Quedlinburg, liebe Helena. Mein Name ist Sophie
Albertine, Prinzessin von Schweden und Fürstäbtissin dieses Hauses, seit nunmehr fünfzehn Jahren«, stellte sie sich mit hörbarem Akzent vor. Sie holte tief Luft, um unter sichtlicher Anstrengung weitersprechen zu können. »Bitte gib mir zu wissen, was du zu meiner Rettung beigetragen hast.«
    Helena schilderte ihr Vorgehen mit knappen Worten und ohne viel Aufhebens. Schließlich war sie nur eine einfache Hebamme, die das Leben einer Gebärenden retten konnte. Das war gar nicht so schwer, wenn man nur ein paar neue Regeln beachtete. Ihr jedenfalls war noch keine Gebärende unter den Händen weggestorben, und sie war stolz auf jede der gelungenen Geburten. Die Fürstäbtissin verlangte nach ihrer Lorgnette, um Helena eingehend zu betrachten. Kurz darauf ließ sie, anscheinend befriedigt, ihre Hand mit der Lesehilfe wieder sinken.
    Helena blieb unschlüssig stehen. Außer ihr befand sich nur noch eine Zofe im Raum, die offenbar nur mühsam den Anblick der Verletzten ertragen konnte. Denn kaum hatte die Fürstin die Augen wieder geschlossen, drückte das kreidebleiche Mädchen Helena gleichermaßen als Aufforderung das blutbefleckte Tuch in die Hand und machte sich stattdessen daran, die Reisetruhen auszuräumen. Helena trat näher an das Krankenbett und tupfte sorgsam die Wunde ab.
    »Ihr Leibarzt kommt bestimmt gleich«, flüsterte sie, auch zu ihrer eigenen Beruhigung. Die Standuhr neben dem weißen Kachelofen zeigte die zweite Mittagsstunde. Helena beobachtete die verschnörkelten Uhrzeiger; das einzig verspielte Detail im Raum – abgesehen von der geflochtenen Goldborte aus Stein, die die Fensterrahmen verzierte und
sich von dort an der Wand entlang bis zu einer Nische rankte, in der ein als Toilette dienender Holzkasten stand. In die dortige Ecke hatte sich das Dienstmädchen zurückgezogen, wo sie nun von einem Fuß auf den anderen trat. Sebastian hingegen hatte den Raum verlassen und sich erneut auf die Suche nach dem Leibarzt begeben.
    Helena beobachtete die alte Dame mit Sorge. So langsam müsste die Wunde ordentlich versorgt werden, sonst würden sich Gifte unter der Kruste einschließen. Aber was sollte sie tun? Sie hatte keine Medizin bei sich. Und selbst wenn … Wüsste sie, wie man Stirnwunden behandelte? Natürlich wusste sie es. Sie traute es sich nur nicht zu, wenn – wie in diesem Fall – ihre Hilfe als Zauberei angesehen wurde. Helena seufzte. Man schrieb zwar das
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