Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mädchen und der Leibarzt

Mädchen und der Leibarzt

Titel: Mädchen und der Leibarzt
Autoren: S Beerwald
Vom Netzwerk:
ein Bad genossen. Ob es in dem Teich Fische gab? Doch womit sollte sie sich eine Angel herstellen?
    Das Pferd wandte den Kopf zu ihr, und Helena streichelte sein weiches Maul, von dem noch ein paar kühle Wassertropfen abperlten. Auch sie verspürte Durst, doch als sie mit den Händen von dem kühlen Nass schöpfte, sah sie, dass es trüb war und voller Algen. Sie ließ das Wasser durch die Finger rinnen.
    Helena verharrte und betrachtete nachdenklich ihr Spiegelbild. Eine junge Frau mit einer kindlichen Stupsnase sah ihr entgegen, kühn und voller Tatendrang, das rundliche Gesicht gerahmt von ein paar zerzausten, blond gelockten Strähnen und die Hände wie die des Vagabunden zu einer leeren Schale geformt.
    »Lass das«, tadelte sie ihr Pferd und schob seinen Kopf von ihrer Schürze weg, unter der es wohl etwas Essbares vermutete. »Tut mir leid, Dicker. Aber wir haben nichts.«
    Enttäuscht wandte sich das Pferd ab und begann ein paar Halme zu zupfen. Helena griff nach den Zügeln und saß auf. »Komm, wir werden gleich ins nächste Dorf reiten und um etwas zu essen bitten.« Wenn man uns nicht als Bettler verjagt, setzte sie im Stillen hinzu und prüfte den Zustand ihrer Kleidung. Das einfache, dunkle Leinenkleid war ohne Löcher und die etwas hellere Schürze hatte zwar ein paar Flecken, aber wenigstens brachte sie ihre schlanke Taille schön zur Geltung. Vielleicht würde das etwas helfen. Helena erschrak über ihre eigenen Gedanken. Aber sie bräuchte nicht nur Brot und Äpfel für sich und ihr Pferd, es fehlte auch an barer Münze, um die Landesgrenzen zwischen Goslar und Halle zu passieren. Vier oder fünf mochten es sein, obwohl ihre Reise kaum länger als eineinhalb Tage zu Pferd
dauern würde. Das Land war durch die vielen Kurfürstentümer, Herzogtümer und Bistümer zu einem einzigen Flickenteppich geworden. Die Karte sah schlimmer aus als die Kleidung eines Bettlers, und an jeder Nahtstelle musste Wegegeld entrichtet werden. Geld, das sie sich nicht mit ihrem Körper erkaufen wollte und dennoch brauchte.
    Wenn sie genau darüber nachdachte, war es zudem ziemlich riskant nach Halle zu reiten. Friedemar kannte ihre Sehnsüchte, und wenn er eins und eins zusammenzählte …
    Helena beobachtete die aufziehenden Wolken, die sich vor die Sonne schoben. Es wurde kühl, und sie schlang fröstelnd ihre Arme um den Körper. Wie spät es jetzt wohl sein mochte? Sie trieb ihr Pferd zu mehr Eile an.
    Seit ihrer Flucht hatte sie jegliches Zeitgefühl verloren. Der Gedanke an den überstürzten Aufbruch traf sie mit voller Wucht. Der letzte Blick auf die Großmutter hatte sich tief in ihre Erinnerung eingegraben. Was jetzt wohl mit ihr geschah? Ob sich Friedemar um die Beerdigung kümmerte? Bilder eines vergessenen Leichnams drängten sich ihr auf, ihre Großmutter, die im Bett verweste, umgeben von Schmeißfliegen und von Maden befallen. Aber sollte sie deshalb zurück in Friedemars Arme?

    Helena war nicht weit geritten, als sie die Zügel anzog und horchte. Schreie hallten durch den Wald.
    »Hilfe, zu Hilfe! Hört mich denn niemand? Zu Hilfe!«
    Helena versuchte die Richtung einzuordnen, aus der die männliche Stimme kam. Dann vernahm sie das Wiehern eines Pferdes. Ihr Schimmel spitzte die Ohren.

    Hinter der Wegbiegung sah sie das Unglück. Halb die Böschung hinabgestürzt lag eine Kutsche auf der Seite, davor stapfte ein uniformierter Mann hektisch auf und ab. Das Kutschenpferd versuchte wieder auf die Beine zu kommen und sich von der gebrochenen Deichsel zu befreien.
    Zögernd ließ sich Helena aus dem Sattel gleiten und rutschte auf dem nassen Laub bis zur Unglücksstelle hinunter.
    »Endlich! Gottlob und Dank!«, entfuhr es dem Mann, als er sie sah. Er war gekleidet in ein dunkelblaues Justaucorps, ein Beamter vermutlich, kein Soldat.
    Auf ihre rasche Annäherung reagierte das Kutschenpferd panisch und setzte ausreichend Kräfte frei, um sich aufzurappeln und die Böschung hinaufzugaloppieren. Da scheute ihr eigenes Pferd, angesteckt von dieser Flucht, und noch ehe sich Helena versah, waren beide Tiere auf und davon. Sie verfluchte sich maßlos dafür, angehalten zu haben, doch der flehende Blick des Mannes machte ihr deutlich, wie dringend Hilfe gebraucht wurde.
    »Die Fürstin … bitte, schnell! Hätten wir doch nur einen Vorreiter gehabt. Es ging alles so plötzlich! Das Pferd hat gescheut, und der Wagen kam aus der Spur. Ich konnte abspringen, aber der Kutscher …« Der schmalgesichtige Mann
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher