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Mädchen und der Leibarzt

Mädchen und der Leibarzt

Titel: Mädchen und der Leibarzt
Autoren: S Beerwald
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um.
    »Ohne das Buch bist du für mich noch wertvoller geworden, Helenchen. Jetzt wirst du mich heiraten müssen .« Er kam langsam auf sie zu. »Dein Wissen ist nun deine Mitgift. «
    Sie erhob sich mit zitternden Knien, darauf bedacht, keine falsche Bewegung zu machen. Sie stand nun direkt vor ihm und sah ihm fest in die Augen. »Ich möchte nur noch einmal die Großmutter sehen.«
    Friedemar verzog den Mund. »Gib dir keine Mühe. Du bist jetzt mein Kapital, und darauf weiß ich gut aufzup…«
    Mit zwei schnellen Schritten gelangte Helena zur Tür. Sie stürzte hinaus in die Stube, in der ihre Großmutter aufgebahrt lag. Es reichte nur für einen flüchtigen Blick des
Abschieds, sie durfte nicht anhalten. Dann rannte sie aus dem Haus, hinüber zur Koppel. Friedemars Gebrüll verfolgte sie.
    »Du wirst mir nicht entkommen! Niemals!«

    Helena spürte ihn dicht auf den Fersen, doch um sie herum war nichts weiter als der stille, nebelumkränzte Herbstwald des beginnenden Tages.
    Das Pferd merkte nichts von ihrer Angst. Es schien sich auf einen Ausflug in den Wald zu freuen und dankbar für die Abwechslung. Der Schimmel machte sich ein Spiel daraus, die Nüstern auf den Boden zu senken und durch kräftiges Schnauben die bunten Blätter aufzuwühlen. Ihrem Pferd hatte der überstürzte Aufbruch nichts ausgemacht. Es war daran gewöhnt, dass sie mit der Trense in der Hand angelaufen kam – schließlich hatte sie es als Hebamme oft genug eilig. Meist wurde sie erst in letzter Minute gerufen, wenn die Frau bereits in schweren Geburtsnöten lag, weil man sich das Geld für eine Hebamme nicht leisten konnte. Darum trug sie stets lange Beinkleider unter dem Rock, damit der Anstand beim Reiten gewahrt blieb.
    Doch heute war trotz der Eile das Ziel ungewiss. Ihre Gedanken kannten nur eine Richtung: fort, fort von Friedemar. Seine Worte hallten ihr durch den Kopf, und sie wusste, wie ernst er es meinte. Du wirst mir nicht entkommen! Niemals! Immerzu schaute sie sich um, im Glauben, ihn gehört zu haben. Ihr Pferd fand mit sicherem Tritt den Weg entlang des Harzes. Über kleine Waldbäche, vorbei an morschen Baumstümpfen und bergab über rutschiges Laub.

    Durch das gleichmäßige Schaukeln wurde Helena allmählich ruhiger. Ihr Blick richtete sich nun stetig nach vorn, denn so langsam wurde es Zeit, ihrem Weg eine sinnvolle Richtung zu geben. Dort über die Lichtung, wo die ersten Sonnenstrahlen im Nebel glitzerten, dann weiter an dem kleinen Bach entlang oder hinaus aus dem Wald? Niemand hielt sie auf. Niemand machte ihr Vorschriften. Es war allein ihre Entscheidung, und im Grunde genommen war diese schon längst gefallen. Wie oft hatte sie von der großen Stadt geträumt! Jetzt war die Gelegenheit gekommen.
    Helena wendete ihr Pferd nach Südwesten, um auf den Leipziger Handelsweg zu treffen und irgendwann nach Halle an der Saale zu gelangen. Bilder der altehrwürdigen, lebendigen Universitätsstadt erschienen ihr vor Augen. Das geschäftige Treiben der fahrenden Händler, reiche und weltgewandte Professorengattinnen, und die Studenten, die sich zwischen den Vorlesungen im warmen Gras am Flussufer ausruhten. Diesen Burschen war Tür und Tor zum Studium geöffnet, unabhängig davon, ob sie einen wachen Geist besaßen. Helena dachte zurück an den Streit mit Friedemar. Hatte sie sich vielleicht zu viel damit vorgenommen, alleine auf ihren Beinen stehen zu wollen? Hätte die Familie Erxleben nicht den König als Fürsprecher gewonnen, wäre Dorothea niemals an der Universität zugelassen worden. Und trotz dieser bedeutenden Erlaubnis in der Tasche zögerte sie noch über Jahre, Ehemann und Kinder zu verlassen, und blieb in Quedlinburg, wo sie nach dem Tod ihres Vaters die Behandlung seiner Patienten übernahm, wie sie es all die Jahre an seiner Seite erlernt hatte. Als jedoch eine kranke Frau unter Dorotheas Händen starb, gab es unter den männlichen Bewohnern kein Halten mehr an Flüchen und
Verwünschungen. Dorotheas Antwort darauf war, Quedlinburg zu verlassen und an die Universität zu gehen. Und genau dort wollte Helena auch hin.
    Sie ließ die Zügel lang und lehnte sich ein wenig zurück. Ihr Körper wurde sanft hin- und hergewiegt, während sie in den strahlend blauen Morgenhimmel schaute.
    Seit Jahren schon träumte sie davon, die medizinischen Vorlesungen zu besuchen, um mehr über die geheimen und faszinierenden Vorgänge im menschlichen Körper zu erfahren. Auslöser dafür war ein Buch gewesen, das ihr die
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