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Mädchen und der Leibarzt

Mädchen und der Leibarzt

Titel: Mädchen und der Leibarzt
Autoren: S Beerwald
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Jahr 1802, und die Aufklärer priesen den Fortschritt, aber es blieb wie so häufig eben nur beim Glauben daran. In Wahrheit herrschte in den Köpfen der Menschen oft noch finsterstes Mittelalter.
    Helena beugte sich besorgt über die Fürstin, die jetzt vor Schmerzen wimmerte, und versuchte, ihren Kopf so angenehm wie nur möglich zu betten. Leider hatte das schöne Kleid einige Blutflecke abbekommen – andererseits besaß die Fürstin sicher unzählige Roben, so dass es auf eine weniger nicht ankam. Ganz anders sah es da in ihrem eigenen Kleiderschrank aus, sofern man ihre Truhe überhaupt als solchen bezeichnen konnte. Auch der Hunger war im Haus der Großmutter ein täglicher Gast gewesen, denn die Armut, verursacht durch Getreidepreise so hoch wie Scheunentore, nährte lediglich die Hoffnung auf eine bessere Zeit.
    Eine Erlösung erhoffte man sich aus dem revolutionären Frankreich. Angefangen hatte es 1792, als Helena gerade
neun Jahre alt geworden war. Sie hatte damals noch nicht gewusst, was das Wort Krieg bedeutete und schon gar nicht, warum die Französische Republik den Preußen und Österreichern den Krieg erklärt hatte. Aber im Laufe der vergangenen elf Kriegsjahre hatte sie genug Zeit gehabt zu verstehen, was die französischen Aufklärer mit Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit meinten. Demnach erhofften sich viele ein sorgenfreies Leben ohne Abgaben, Herrschaften und Gerichte und wünschten sich sehnlichst, dass bald das französische Heer in ihre Stadt kommen möge, um dort das verlorene Paradies zu schaffen. Plündernde Soldatentruppen, Brandschatzung, Vergewaltigungen und ein selbstherrlicher Napoleon waren der Preis, den die Menschen ohne laut zu murren dafür bezahlten.
    Behutsam tupfte Helena die Wunde der alten Dame ab. Als Fürstin hielt sie mit Sicherheit nicht viel von der Revolution, ebenso wenig wie die Herrscher von Preußen und Österreich. Schließlich hatten sie alle Angst, ihre Macht zu verlieren, sollte sich die Pest des Aufstandes im Deutschen Reich ungehindert ausbreiten.
    Doch der Glanz einer freudvollen neuen Ära leuchtete von der Französischen Republik aus für manche Bauern derart verführerisch herüber, dass man dafür sogar noch die grünen Wiesen und Weiden hergab, die sich unter dem Druck von Soldatenstiefeln und Pferdehufen in schlammige Äcker verwandelt hatten. Statt der Feldfrüchte säumten nun blutgetränkte Stofffetzen den Weg und als Gastgeschenk fand ein Bauer hie und da eine Leiche auf seinem Acker vor, die, wenn er Glück hatte, noch nicht von aller wertvollen Habe säuberlichst befreit worden war.
    Doch in letzter Zeit war die Kriegseuphorie dem Schrecken
gewichen. Man warf angstvolle Blicke auf Napoleon, der die Französische Revolution kurzerhand für beendet erklärt hatte und nun kein geringeres Ziel kannte, als sich zum Herrscher Europas aufzuschwingen. Kein Gegner war ihm zu mächtig. Sein Land Frankreich sollte von einem Lorbeerkranz bezwungener und damit abhängiger Staaten umgeben sein. Er fegte seine Gegner wie Figuren vom Schachbrett, und jeder versuchte ihm verzweifelt auszuweichen, solange er noch konnte.
    Helena war in Gedanken versunken, als die Tür aufflog. Herein trat ein beleibter Mann mit weißer Zopfperücke, elegant bekleidet mit einem dunkelroten Gehrock mit goldenen Knöpfen, passendem Halstuch und blankpolierten Schnallenschuhen, so als sei er auf ein Festbankett geladen. Selbstgefällig stützte er sich auf seinen Spazierstock und betrachtete hoch erhobenen Hauptes die Szenerie.
    »Wohlan, welches Zipperlein hat die gnädige Fürstin ereilt? Ein wenig Kopfweh, ein blaues Flecklein oder gar eine Schürfung, und nun brauchen Gnädigste ein Heftpflästerlein? «
    Entgeistert starrte Helena den stattlichen Mann an. In diesem Ton trat man doch nicht an das Bett einer Kranken! Und schon gar nicht an das einer Fürstin!
    Der Leibarzt blieb in einiger Entfernung stehen. Offensichtlich wollte er sich nicht einmal die Mühe machen, die Kranke zu untersuchen.
    Helena schluckte, atmete tief durch und versuchte ihrer Stimme einen besonders festen Klang zu geben: »Die ehrenwerte Fürstin hatte einen schweren Unfall, bei dem sie eine Platzwunde davongetragen hat. Diese ist zu groß für ein Heftpflaster. Damit es eine schöne kleine Mase gibt, müsste
man wohl etwas Gummi arabico auf die Wunde geben, auf dass diese gut verklebe. Zudem wäre ein Kräutersäcklein aus Oregano, Majoran, Rosmarin, Lavendel und Rosenblättern hilfreich, in Wein
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