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Mädchen und der Leibarzt

Mädchen und der Leibarzt

Titel: Mädchen und der Leibarzt
Autoren: S Beerwald
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von ihrem Traum entfernt. Sie brauchte nur zuzugreifen, und das konnte doch nicht so schwer sein. Für die nächsten ein, zwei Tage – und wenn es ihr nicht gefiel, würde sie wieder gehen. Zaghaft bot sie ihm die Hand. Der Leibarzt zögerte, aber mit einem Seitenblick auf die Fürstäbtissin schlug er ein. Dann zog er hörbar die Luft ein und machte auf dem Absatz kehrt.

    Sebastian von Moltzer zog die Türe zu und wies ihr den Weg quer durch den angrenzenden Wohnraum der Fürstäbtissin. Dieser war mit übersichtlichem Inventar ausgestattet – einem schlichten Sofamöbel mit zwei passend goldbraun bezogenen Stühlen als Sitzgelegenheit vor einem kleinen runden Tischchen, ein Vitrinenschrank und ein mannshoher Schreibsekretär, auf dem wohlgeordnet einige Papiere lagen. Helena war es unangenehm, durch die privaten Gemächer der Fürstäbtissin zu gehen und eilte über das kunstvoll gemusterte Parkett durch die nächste Flügeltüre, dem Mann hinterher, von dem sie lediglich den Namen wusste.
    »Der Thronsaal, in dem unsere Fürstäbtissin ihre Audienzen gewährt«, präsentierte ihr der Stiftskanzler mit einem Anflug von Stolz. Es war wie der Eintritt in eine andere Welt. Seidentapeten in prachtvollem Rot überspannten die Wände, begrenzt von weißen Zierflächen rund um die Fensternischen. Zahlreiche Spiegel ließen den Raum noch größer wirken und verstärkten den Glanz des üppigen Kronleuchters, in dem Kerzen in verschwenderischer Fülle brannten. Ein Diener, wortlos in einer der Nischen stehend, schien eigens dazu abgestellt, die Flammen zu bewachen. Wortlos öffnete der Mann ihnen die Türe zum Wartesaal, dem dunklen Gemach, wie Sebastian erklärte. Tatsächlich verdunkelten tiefgelbe Ledertapeten mit schwarzer Ornamentik den kleinen Raum, in dem ein paar verloren wirkende Samtpolsterstühle auf Besucher warteten.
    Helena nickte im Weitergehen staunend zu Sebastians Ausführungen. Der folgende, in Blau gehaltene Festsaal, in dem der Odem vergangener Ballnächte förmlich spürbar war, war in diesen ruhigeren Zeiten mit Tischgruppen bestückt,
wo Schachbretter und andere Spiele dem Divertissement der Damen dienten.
    Schweigend betraten sie einen düsteren Flur. Die Wände waren kahl und feucht, nichts deutete mehr darauf hin, dass sie sich in einem Fürstenbau befanden. Es gab weder Bilder noch Kronleuchter, Vasen oder Teppiche als Dekor. Helena schüttelte unmerklich den Kopf: in den Gemächern eine reiche Fürstin, auf dem Gang eine arme Äbtissin. Das Stift schien aus zwei Welten zu bestehen, die die Fürstäbtissin mühsam in ihrer Person zu vereinen suchte.
    Helena blieb stumm. Sie wusste nicht, was sie sagen oder auch nur denken sollte.
    Sebastian durchbrach ihre Gedanken. »Irgendetwas scheint Sie sehr zu beschäftigen. Aber ich möchte Ihnen keine persönlichen Fragen stellen. Ich habe mich Ihnen noch nicht einmal richtig vorgestellt: Mein Name ist, wie gesagt, Sebastian von Moltzer und ich stehe seit fünfzehn Jahren als Stiftskanzler in Diensten unserer gnädigen Fürstäbtissin. Mir obliegt es als Jurist, Verhandlungen zu führen und Verträge auszufertigen; seltener schreibe ich Gerichtsurteile, dafür erledige ich häufig den offiziellen Briefverkehr – was glauben Sie, wie viele Bettelbriefe uns tagtäglich erreichen? Zum guten Glück besitze ich mein sechshundert Seiten starkes Formelbuch, das über ein fabelhaftes Stichwortverzeichnis verfügt und in dem ich sämtliche Briefvorlagen vorfinde. Andernfalls bliebe mir gar keine Zeit mehr. Aber wahrscheinlich hat sich das alles bald von selbst erledigt. « Er seufzte.
    »Was meinen Sie damit?«
    »Unsere Klöster und Damenstifte sind bedroht. Als Napoleon in Oberschwaben einfiel, stellte die Fürstäbtissin
den Damen frei, im Stift zu bleiben. Wir flüchteten mit dem Stiftssilber, als sich die Franzosen mit unserer kaiserlichen Armee eine Schlacht bei Biberach lieferten. Als ich vorhin in der Küche eine kräftigende Suppe für die Fürstin in Auftrag gab, hörte ich, dass die Franzosen im Damenstift Buchau ihr Quartier aufgeschlagen haben. Können Sie sich das vorstellen? Die Vorratskammern sind geplündert, die Räumlichkeiten zum Teil verwüstet und kaum mehr Tiere sind im Stall. Und das Schlimmste ist … sie könnten jederzeit auch hierherkommen.«
    »Das kann ich mir nicht vorstellen. Weshalb sollten sie?«
    »Napoleon ist noch nicht fertig, glauben Sie mir.«
    »Warum sind Sie dann alle zurückgekommen?«
    »Es ist unser Stift, wir
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