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Madonna

Madonna

Titel: Madonna
Autoren: Kathrin Lange
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ersticken, richtete Katharina ihre Aufmerksamkeit auf ihren Atem. Ein greller Lichtreflex tanzte über die Innenseite ihrer Lider, ein leuchtendes Rot, das wie ein Glühwürmchen umherhuschte, verging und erneut auftauchte.
    Dankbar, an etwas anderes als an Richard denken zu können, betrachtete Katharina dieses Mysterium. Wie konnte es sein, dass ihr Auge ihr Helligkeit vorgaukelte, wo es gar keine gab? Kam nicht das Sehen von den Strahlen, die das Auge aussendete und mit dem es die Umgebung abtastete, so wie ein Blinder seinen Weg mit dem Stock ertastet?
    Katharina kniff die Lider fest zusammen. Das seltsame Leuchten verstärkte sich, als habe das Glühwürmchen Nachkommen gezeugt, die nun nach allen Seiten ausschwärmten.
    Katharina wollte dieses Phänomen festhalten, es ausgiebiger studieren, doch als sie sich auf die Lichtfunken konzentrierte, waren sie plötzlich fort. Katharina unterdrückte ein Seufzen. Statt auf ihre Augen konzentrierte sie sich nun auf ihren Pulsschlag. Wie ein kleines Tier in seinem Käfig zitterte und bebte ihr Herz, und sie wusste, dass dies noch immer eine Nachwirkung ihres Traumes war. Ein dumpfer, krampfartiger Druck saß in ihrem Unterleib. Richards Atem an ihrer Schläfe. Der Krampf verstärkte sich kurz, verging dann jedoch und machte etwas anderem Platz. Einem Gefühl von Wärme, bei dem sie sich rasch bekreuzigte.
    Sie öffnete die Augen, starrte auf das Buch und nahm es zur Hand. Jungfrauenspiegel . Am Abend zuvor, nachdem sie aus Heilig-Geist in ihr eigenes Haus zurückgekehrt war, hatte sie es zunächst auf ihr Nachtkästchen gelegt und dann, kurz bevor sie sich zur Nacht fertig gemacht hatte, hatte sie darin gelesen.
    Wieder glaubte Katharina Richards Lippen an ihren Schläfen zu spüren. Spindler hatte es geahnt …
    Sie dachte noch darüber nach, wie das sein konnte, als es an ihrer Kammertür klopfte.
    »Katharina?« Die angespannte Stimme einer älteren Frau ertönte.
    »Komm rein!«, rief Katharina und ließ das Büchlein in den Schoß sinken.
    Die Tür öffnete sich, und eine Frau von ungefähr fünfzig Jahren streckte den Kopf ins Zimmer. Sie hatte lange, ergraute Haare, die sieauf sehr mädchenhafte Weise zu zwei Zöpfen geflochten trug, und wache graue Augen, unter deren Blick Katharina sich vorkam wie eine Klosterschülerin vor der Mutter Oberin. Der Name der Frau war Hiltrud. Sie bewohnte eine der anderen Kammern im Obergeschoss des Hauses, das Katharina von ihrem Mann geerbt hatte. »Brunhild geht es immer noch nicht besser«, sagte Hiltrud. »Kannst du mal eben gucken kommen?« Um ihren Mund hatten sich tiefe Sorgenfalten eingegraben, und im Licht der Talglampe, die sie in der Hand hielt, konnte Katharina den feinen weißen Flaum auf ihren Wangen schimmern sehen.
    »Natürlich.« Katharina legte das Büchlein auf ihr Nachtkästchen und stand auf. Einen Moment überlegte sie, ob sie sich etwas überziehen sollte, aber Brunhilds Zimmer lag dem ihren direkt gegenüber. Für die wenigen Schritte über den Flur, beschloss sie, würde ihr weißes Nachthemd ausreichen.
    Hiltrud war bereits auf dem Weg zurück zu der kranken Brunhild. Sie humpelte heute wieder stärker, bemerkte Katharina beiläufig, während sie nach ihrem eigenen Licht griff und der älteren Frau folgte. Hiltrud litt an einer seltsamen Form der Gicht, die nur ihre Kniegelenke anzugreifen schien. Seit Monaten schon versuchte Katharina, ein Heilmittel für sie zu finden, aber bisher war es ihr nicht gelungen. Ob Spindler das gleiche Leiden plagte? Katharina dachte an die Art und Weise, wie der Priester in der Kapelle auf sie zugehumpelt war. Nein, offenbar saß bei ihm der Schmerz in der Hüfte.
    Sie unterdrückte ein Seufzen. Es gab so viele Menschen, denen sie nicht helfen konnte!
    Brunhild schien einer davon.
    Ihre Kammer war erfüllt von stickiger, übelriechender Luft. Katharina verzog das Gesicht. Es roch nach Fäkalien und nach Erbrochenem, vor allem aber nach Verzweiflung. Seit zwei Tagen schon litt die Frau unter einem rätselhaften Brechdurchfall, der ihr langsam auch die letzten Kräfte raubte. Gegen ihn schienen alle Heilkräfte Katharinas völlig wirkungslos.
    Langsam näherte Katharina sich dem Bett.
    »Öffne das Fenster!«, befahl sie Hiltrud, während sie selbst sich auf der Kante der dünnen Matratze niedersinken ließ. Brunhild sah sehr viel älter aus als Hiltrud, aber Katharina wusste, dass dieser Eindrucktrog. Auch Brunhild war um die fünfzig. Es war die Krankheit, die ihre Haut
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