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Madonna

Madonna

Titel: Madonna
Autoren: Kathrin Lange
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überraschte. Der Disput weckte ihre bereits halberloschenen Lebensgeister, aber er würde sie Kraft kosten. Lange würde der Tod nicht mehr warten müssen.
    Katharina verdrängte alle Gedanken an den Tod und konzentrierte sich stattdessen auf das, was Brunhild eben gesagt hatte. Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Ich hätte wissen sollen, dass du den Jungfrauenspiegel selbst gelesen hast.«
    Brunhild schnaubte erneut. »Er ist das wichtigste Werk, wenn es um Erbauungsliteratur für Frauen geht. Sag bloß, das wusstest du nicht!«
    »Ich habe es mir gedacht.« Sanft entzog Katharina der Älteren ihre Finger, denn langsam begann die Art, wie sich deren Nägel in ihr Fleisch bohrten, zu schmerzen.
    Brunhild hob einen Arm und machte eine Geste, die das gesamte Gebäude zu umfassen schien. »So wie es für mich aussieht, befolgst du die darin enthaltenen Regeln Wort für Wort.« Diesmal war sie es, die Katharina vom Reden abhielt, indem sie die Hand hob. »Unterbrich mich nicht!« Dann begann sie, an den Fingern abzuzählen: »Du hast das Vermögen, das Egbert dir hinterlassen hat, für mildtätige Zwecke eingesetzt, indem du sein Haus zu einem Heim für mittellose gemütskranke Frauen umgewandelt hast. Du schuftest dich krumm, um eben diesen Frauen ihr Leiden zu lindern, und dazu nutzt du das Wissen, das du dir im Laufe deines Lebens erworben hast. Du bist geduldig und mildtätig bis zum Erbrechen.« Sie verzog das Gesicht bei dem letzten Wort. »Zugegeben, über deine Frömmigkeit könnten wir streiten. Aber du hast nicht wieder geheiratet.«
    Im Stillen vollzog Katharina die einzelnen Punkte nach. Armut. Demut. Hilfsbereitschaft. Mildtätigkeit. Sie brauchte keinen Jungfrauenspiegel, um diese Dinge zu wissen. Frömmigkeit. Sie unterdrückte ein resigniertes Seufzen. Keuschheit . Sie spürte, wie sie rot wurde, denn wieder musste sie an Richards Lippen auf ihrer Haut denken.
    »Aber zählen diese Punkte, wenn auch nur einer davon nicht eingehalten ist?«, murmelte sie und hoffte, Brunhild würde die Frage auf die Frömmigkeit beziehen und nicht auf die Keuschheit, an die Katharina eigentlich dachte.
    Doch so leicht täuschte sie die ältere Frau nicht. »Als ich eine junge Witwe wurde«, erzählte sie, »da gab es einen Priester, der mir ganz ähnliche Ratschläge gegeben hat wie Spindler dir.« Sie schloss die Augen und murmelte: »Du bist noch jung, und du willst dich üben in des Fleisches Begier. Stattdessen aber bereite in dir Christus mit seinem himmlischen Vater und dem Heiligen Geist eine Wohnung. Dann werden die Worte des Lebens in dich kommen, und aus denen wird deine Seele erfreut sein, und sie wird gesunden … Darum sollst du den Mann nicht mit goldenen Gürteln, engen Schuhen, langen Ärmeln oder seidenen Tüchern reizen. Geh stattdessen mit Schleier und schlechten Kleidern und Schuhen vor die Tür.«
    Katharina schluckte, dann rezitierte sie selbst: » Paulus spricht von den Witwen, die in Wollust leben: Sie sind tot in der Seele .«
    Brunhild öffnete die Augen wieder. »Genau.«
    Eine Weile lang schwiegen sie beide, und es wurde sehr still im Zimmer. Von draußen waren jetzt keinerlei Geräusche mehr zu vernehmen bis auf das Wispern des Windes, der noch immer die Vorhänge an dem offenen Fenster bewegte. Die Nacht war inzwischen weit fortgeschritten. Die herrschende Kälte breitete sich bis in Katharinas Knochen aus.
    »Sieh dich an«, sagte Brunhild endlich. »Ich meine, sieh dich an, wenn du nicht gerade ein Nachtgewand trägst. Keine goldenen Gürtel, keine engen Schuhe und langen Ärmel. Ich weiß nicht, warum du dich für so eine unwürdige Witwe hältst.«
    Vielleicht, weil ich mich unwürdig fühle, seit ich ein Kind bin, fuhr es Katharina durch den Kopf, aber sie sprach es nicht aus.
    »Diese Träume …« Brunhild holte seufzend Luft. Die Schatten unter ihren Augen waren jetzt noch dunkler als zuvor, und Katharina wusste, dass sie die alte Frau über Gebühr strapazierte. »Dein Ehemann ist seit Monaten tot. Ich weiß übrigens gar nicht, wie er starb, das musst du mir bei Gelegenheit einmal erzählen, ja?« Sie wartete nicht, bis Katharina genickt hatte, sondern fuhr fort: »Diese Träume werden vergehen, glaub mir! Ich weiß, wovon ich rede!«
    Katharina tat so, als glaube sie ihr, auch wenn ihr genau das schwerfiel.
    Bei Gelegenheit musst du mir einmal erzählen, wie dein Mann gestorben ist.
    Diese Worte hallten in Katharina nach, und in diesem Moment war sie froh darüber, dass der Tod
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