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Madonna

Madonna

Titel: Madonna
Autoren: Kathrin Lange
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versammelt hatte, hatte sich in der Zwischenzeit zerstreut. Nur einige Handwerker waren dabei, die Trümmer des Gerüstes zusammenzutragen und die geborstenen Streben säuberlich auf Haufen zu schichten.

2. Kapitel
    Sie träumte. Sie war auf dem Weg zu einem wichtigen Treffen, das wusste sie mit der Träumen so oft eigenen Klarheit. Der Weg, den sie gehen musste, führte durch eine schmale Gasse, in der die Schatten hockten wie ein Rudel blutrünstiger Tiere. Sie wusste, dass die Zeit drängte, und sie hielt Ausschau nach einem Pfad, der nicht durch die Gasse führen würde, aber solange sie auch suchte, irgendwann begriff sie, dass sie keine Wahl hatte.
    Langsam betrat sie die Gasse.
    Die Finsternis schloss sich um sie, begleitete sie mit jedem zögernden Schritt. Behutsam setzte Katharina einen Fuß vor den anderen, ertastete sich ihren Weg über unebenes Pflaster, das sich unter ihren nackten Sohlen zu schmerzhaften Buckeln fügte. Ein eisiger Hauch strich über ihre Haut, und jetzt erst bemerkte sie, dass sie nackt war. Fröstelnd legte sie die Arme um sich, und dann …
    … war das Gefühl da.
    Angst. Nein, völlige Schutzlosigkeit. Etwas saß in den Schatten, das spürte sie überdeutlich. Es lauerte ihr auf, ein Tier vielleicht oder Schlimmeres. Sie glaubte, entferntes Weinen zu hören, so kindlich, so einsam und verloren, dass es ihr Innerstes in Eis verwandelte. Sie versuchte, die Dunkelheit mit Blicken zu durchdringen, doch alles, was sie erreichte, war, dass sich die Schatten enger um sie schlossen. Etwas griff aus der Finsternis nach ihr, sie glaubte, eine Berührung zu spüren, so sanft wie eine Vogel-, wie eine Schwanenfeder, die ihr über die Schulter strich.
    Halb erstarrt vor Angst drehte sie sich um.
    Und plötzlich war er da. Sie wurde in ein Paar Arme gezogen. Im ersten Moment wollte sie sich wehren, wollte um sich schlagen, doch dann waren auf einmal Lippen dicht an ihrer Schläfe. Sie spürte Atem durch die feinen Härchen streichen.
    »Scht!«, hörte sie eine Stimme, so unendlich vertraut. Und sie schlugdie Augen auf, sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie sie zugekniffen hatte, aber als sie sie jetzt öffnete, da schaute sie in ein vertrautes Gesicht mit langen, hellbraunen Haaren und Augen, die dunkel und tief glänzten. »Scht«, flüsterte die Stimme erneut, und dann sagte sie: »Ich bin bei dir!«
    »Richard!« Mit einem Schrei fuhr sie aus dem Traum auf.
    Das Herz hämmerte in ihrer Brust, so laut, dass sie meinte, es müsse alle anderen Bewohner des Hauses aufwecken. Sie spürte, wie Schweiß ihr Nachtgewand durchtränkte. Eine Weile lang saß sie regungslos da, den Blick in die Dunkelheit ihres Zimmers gerichtet, die zu ihrer grenzenlosen Erleichterung nicht so undurchdringlich war wie die Finsternis in ihrem Traum.
    »Richard …«, flüsterte sie und berührte die Stelle an ihrer Schläfe, wo seine Lippen sie gestreift hatten. Ihr Herzschlag verlangsamte sich, dafür zog es ihr nun den Brustkorb zusammen vor Sehnsucht. Zu Anfang war der Schmerz des Verlustes scharf und unerträglich gewesen, wenn sie nur an Richard gedacht hatte. Dann, eine Zeitlang, war es ihr gelungen, die Sehnsucht nach ihm zu verdrängen. Und mit den Monaten, die vergingen, nachdem er Nürnberg verlassen hatte, war diese Sehnsucht dumpfer Resignation gewichen, die aus dem Wissen resultierte, dass sie den Mann, den sie liebte, für immer verloren hatte. Doch seit kurzem, seit diese unheimlichen Bilder sie nachts quälten, war Richard zurückgekehrt, wenn auch nur im Traum. Sie hatte ihrer Mutter nichts von ihm erzählt. Zwar hatte sie von ihren Alpträumen gesprochen, von der Gasse und von den Schatten. Auch dass sie im Traum nackt war, hatte sie erwähnt, Richard hingegen nicht.
    Und doch, das spürte sie, schien Spindler es geahnt zu haben.
    Zögernd wandte Katharina den Kopf. Ein wenig Mondlicht fiel durch das Fenster, dessen Läden sie beim Zubettgehen nicht schloss, und zeichnete die Umrisse der wenigen Möbel silbrig nach. Auf dem Nachtkästchen neben dem Bett lag das Buch, das der Priester ihr gegeben hatte. Katharina streckte die Hand danach aus und schlug den Deckel auf.
    Speculum virginum . Die steile Schrift sah in dem schwachen Licht aus wie mit Blut gemalt.
    Katharina schüttelte den Kopf und vertrieb alle morbiden Gedanken aus ihrem Hirn. Energisch schlug sie den Buchdeckel wieder zu undschloss die Augen. Die Dunkelheit der Nacht verdichtete sich in ihrem Herzen, und um nicht an ihrer Sehnsucht zu
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