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Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Titel: Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
Autoren: Gustave Flaubert
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Patienten mit allerlei guten Worten, chirurgischem Gekraule, das wirkt wie Öl beim Schmieren der Skalpelle. Da er Schienen brauchte, holte man aus dem Wagenschuppen einen Stapel Holzlatten. Charles suchte sich eine aus, schnitt sie in Stücke und glättete sie mit einem Glasscherben, während die Magd Laken in Streifen riss und Mademoiselle Emma sich mühte, kleine Polster zu nähen. Als sie ihre Nadelbüchse nicht sogleich fand, wurde ihr Vater ärgerlich; sie erwiderte nichts; doch beim Nähen stach sie sich in die Finger, steckte sie dann in den Mund und lutschte.
    Charles überraschten ihre weißen Fingernägel. Sie waren glänzend, zart an den Spitzen, sorgfältiger gereinigt als die Elfenbeinfiguren aus Dieppe und mandelförmig geschnitten. Ihre Hand dagegen war unschön, vielleicht nicht hell genug und an den Knöcheln zu dürr; sie war auch zu lang, und an den Rändern fehlten ihr die weichen Rundungen. Schön an ihr waren die Augen; obwohl braun, wirkten sie schwarz wegen der Wimpern, und ihr offener Blick begegnete einem mit unschuldiger Kühnheit.
    Als der Verband angelegt war, wurde der Arzt von Monsieur Rouault eingeladen, vor dem Heimweg noch einen Happen zu essen .
    Charles ging hinunter in den großen Raum im Erdgeschoss. Zwei Gedecke mit silbernen Bechern waren auf einem kleinen Tisch vorbereitet, am Fußende eines großen Himmelbetts, umhüllt von Baumwollstoff mit aufgedruckten Figuren, die Türken vorstellten. In der Luft hing ein Geruch von Iris und feuchten Laken, er kam aus dem hohen Eichenschrank gegenüber dem Fenster. Auf dem Fußboden, in den Ecken, standen aneinandergereiht Säcke voller Getreide. Sie hatten nicht mehr hineingepasst in den angrenzenden Speicher, zu dem man über drei Steinstufen gelangte. Als Schmuck dieser Wohnung hing an einem Nagel in der Mitte der Wand, deren grüne Farbe unter dem Salpeter abblätterte, ein mit Bleistift gezeichneter Minervakopf im Goldrahmen, unter dem in altertümlichen Lettern geschrieben stand: »Meinem lieben Papa«.
    Zunächst sprach man über den Kranken, dann über das Wetter, die strenge Kälte, die Wölfe, die nachts durch Feld und Flur strichen. Mademoiselle Rouault machte das Landleben keinen Spaß, vor allem jetzt, wo die Sorge um das Gehöft fast ganz auf ihr lastete. Da es kühl war in dem Raum, zitterte sie beim Essen, was ihre vollen Lippen ein wenig zur Geltung brachte, an denen sie, wann immer sie schwieg, aus Gewohnheit nagte.
    Ihren Hals umschloss ein weißer Umlegekragen. Ihr schwarzes Haar in den zwei breiten Streifen, auf jeder Seite so glatt wie aus einem Guss, wurde in der Mitte des Kopfes von einer feinen Linie gescheitelt, die der Schädelwölbung folgte und noch ein Stück weiter lief; die Ohrläppchen sahen gerade noch hervor, dann war es im Nacken zu einem üppigen Knoten zusammengefasst, mit einer geschwungenen Welle an den Schläfen, die dem Landarzt hier zum ersten Mal in seinem Leben auffiel. Ihre Wangen waren zartrosa. Sie trug, wie ein Mann, zwischen zwei Knöpfe ihrer Bluse gesteckt, ein Lorgnon aus Schildpatt.
    Als Charles sich oben von Vater Rouault verabschiedet hatte und vor dem Aufbruch noch einmal in den großen Raum trat, stand sie am Fenster, die Stirn gegen die Scheibe gedrückt, und blickte hinaus in den Garten, wo der Wind die Bohnenstangen umgelegt hatte. Sie drehte sich zu ihm.
    »Suchen Sie etwas?« fragte sie.
    »Meine Reitpeitsche, bitte«, antwortete er.
    Und er begann überall zu stöbern, auf dem Bett, hinter den Türen, unter den Stühlen; sie war auf den Boden gefallen, zwischen Säcke und Mauer. Mademoiselle Emma hatte sie entdeckt; sie beugte sich über die Getreidesäcke. Charles wollte höflich sein, stürzte herbei, und als er in gleicher Absicht ebenfalls den Arm ausstreckte, spürte er, wie seine Brust den Rücken des jungen Mädchens streifte, das sich unter ihm bückte. Mit rotem Kopf richtete sie sich auf und blickte über die Schulter, in der Hand seinen Ochsenziemer.
    Anstatt drei Tage darauf wieder nach Les Bertaux zu kommen, wie er versprochen hatte, erschien er bereits am nächsten Tag, dann regelmäßig zweimal pro Woche, die überraschenden Besuche nicht mitgerechnet, die er von Zeit zu Zeit machte, wie aus Versehen.
    Übrigens ging alles gut; die Heilung verlief erwartungsgemäß, und als man nach sechsundvierzig Tagen sah, dass Vater Rouault auf seiner Masure ganz allein erste Schritte machte, begann man Monsieur Bovary für einen äußerst fähigen Mann zu halten. Vater
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