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Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)

Titel: Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
Autoren: Gustave Flaubert
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wiegen im ruhigen Trab seines Tieres. Wenn es von allein stehenblieb vor den mit Dornbüschen umwachsenen Löchern, die man entlang der Ackerfurchen gräbt, schreckte Charles hoch, erinnerte sich schnell an das gebrochene Bein und versuchte sich alle Brüche, die er kannte, wieder ins Gedächtnis zu rufen. Es hatte aufgehört zu regnen; langsam wurde es Tag, und auf den Zweigen der kahlen Apfelbäume saßen reglos Vögel und plusterten ihre kleinen Federn im kalten Morgenwind. Das flache Land erstreckte sich ins Unendliche, und die Baumgruppen rund um die Gehöfte bildeten, in großen Abständen, schwarzviolette Flecken auf dieser weiten grauen Fläche, die sich am Horizont in der Trübnis des Himmels verlor. Von Zeit zu Zeit öffnete Charles die Augen; weil aber sein Geist ermüdete und die Schläfrigkeit von allein zurückkam, verfiel er bald wieder in ein Dösen, wo jüngste Eindrücke verschmolzen mit Erinnerungen und er sich doppelt wahrnahm, als Student und als verheirateter Mann, in seinem Bett liegend wie vorhin, durch einen Saal mit Operierten schreitend wie einst. Der warme Geruch von Umschlägen vermischte sich in seinem Kopf mit dem herben Geruch des Taus; er hörte die Eisenringe an den Betten über ihre Stange rollen und seine Frau schlafen … Als er durch Vassonville kam, saß dort neben einem Graben ein Bürschchen im Gras.
    »Sind Sie der Arzt?« fragte das Kind.
    Und nachdem Charles geantwortet hatte, nahm es seine Holzpantinen in die Hand und lief voraus.
    Unterwegs erfuhr der Sanitätsbeamte aus den Reden seines Führers, dass Monsieur Rouault ein sehr wohlhabender Landwirt sein musste. Er hatte sich am Vorabend das Bein gebrochen, als er von einem Nachbarn kam, wo sie Dreikönige gefeiert hatten. Seine Frau war seit zwei Jahren tot. Er hatte nur sein Fräulein bei sich, das ihm half, den Haushalt zu besorgen.
    Die Radspuren wurden tiefer. Sie kamen nach Les Bertaux. Der kleine Kerl schlüpfte durch ein Loch in der Hecke, verschwand, tauchte dann hinten in einem Hof wieder auf und öffnete das Gatter. Das Pferd schlitterte auf dem nassen Gras; Charles zog den Kopf ein unter den Ästen. Die Wachhunde in ihrer Hütte bellten und zerrten an der Kette. Als er in Les Bertaux einritt, scheute sein Pferd und tat einen großen Sprung.
    Es war ein stattliches Gehöft. In den Ställen sah man durch die offenen Türoberhälften schwere Ackergäule, die friedlich aus neuen Futterkrippen fraßen. Die Gebäude säumte ein breiter Misthaufen, Dampf stieg von ihm hoch, und zwischen den Hennen und Putern pickten fünf oder sechs Pfauen, ein Luxus in den Hühnerhöfen des Pays de Caux. Der Schafstall war lang, die Scheune war hoch, ihr Mauerwerk glatt wie die Hand. Unter dem Schuppendach standen zwei große Karren und vier Pflüge, nebst ihren Peitschen, ihren Kummeten, ihrem gesamten Zubehör, und die blauen Wolldecken verschmutzten im feinen, von den Speichern herabrieselnden Staub. Der Hof stieg leicht an, bepflanzt mit symmetrisch gruppierten Bäumen, und vom Tümpel her drang das fröhliche Geschnatter einer Gänseschar.
    Eine junge Frau im blauen Merinokleid mit drei Volants trat vor die Haustür, um Monsieur Bovary zu empfangen, führte ihn in die Küche, wo ein kräftiges Feuer brannte. Das Frühstück des Gesindes brodelte ringsum in verschieden großen Töpfchen. Feuchte Kleidung trocknete im Inneren des Kamins. Das Schäufelchen, die Zangen und der Schnabel des Blasebalgs, alles riesengroß, glänzten wie blanker Stahl, und an den Wänden hing eine üppige Batterie von Kochgeschirr, in dem sich ungleichmäßig die helle Flamme des Kaminfeuers spiegelte, zusammen mit dem ersten Sonnenlicht, das durch die Fensterscheiben drang.
    Charles ging hinauf in den ersten Stock, um nach dem Kranken zu sehen. Der lag im Bett, unter seinen Decken schwitzend, die Zipfelmütze weit von sich geworfen. Er war ein dicker kleiner Mann von fünfzig Jahren, mit weißer Haut, blauen Augen, einer Stirnglatze, und er trug Ohrringe. Neben ihm, auf einem Stuhl, stand eine große Karaffe mit Schnaps, von dem er sich immer wieder eingoss, zur Herzstärkung und Labung; doch sowie er den Arzt sah, verflog seine Aufregung, und anstatt zu fluchen, wie er das seit zwölf Stunden tat, begann er leise zu wimmern.
    Der Bruch war einfach, ohne irgendwelche Komplikationen. Charles hätte sich keinen simpleren zu wünschen gewagt. Also rief er sich das Auftreten seiner Lehrmeister an den Betten Verletzter in Erinnerung, tröstete den
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