Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
MacTiger - Ein Highlander auf Samtpfoten

MacTiger - Ein Highlander auf Samtpfoten

Titel: MacTiger - Ein Highlander auf Samtpfoten
Autoren: Andrea Schacht
Vom Netzwerk:
MacColourful war lilagrundig mit rosa, gelben und weißen Querfäden. Ich musste bei seinem schwindelerregenden Anblick befürchten, Tante Henriettas Zustand könne langsam in die kritische Phase treten. Und wirklich, sie lehnte kraftlos an der unverputzten Granitsteinwand, noch immer das Taschentuch an den Mund gepresst, die Augen geschlossen und gespenstisch blass.
    Ich hatte Mitleid mit ihr. Darum drängelte ich mich an die Rezeption vor und erhob meine Stimme zu einem vernehmlichen »Excuse me, please«.
    Der Mann hinter der Theke sah zunächst durch mich hindurch, wie das viele machen, wenn ich mich um Aufmerksamkeit bemühe. Ich räusperte mich und sagte noch etwas lauter: »Könnten Sie mich bitte vorlassen, meiner Tante geht es nicht gut.«
    Gleichzeitig schob ich Frau Liebmann rigoros zur Seite, was sie von mir nicht erwartet hatte und daher verdutzt Platz machte. Dann sah ich mich plötzlich dem Chef des Hotels gegenüber, der Nämliche, der die Gruppe vor dem Haus so malerisch im Kilt empfangen hatte. Über dem Tartan-Rock trug er eine Tweedjacke, dunkles Lila mit Rosa durchschossen. Das biss sich schmerzlich mit seiner rötlichen Gesichtsfarbe, die entweder auf einen ausgedehnten Aufenthalt in der frischen Hochland-Luft oder den ebenso ausgedehnten Genuss des Highland-Whiskys schließen ließ. Aber vielleicht tat ich ihm unrecht, wenn ich daraus meine unbotmäßigen Schlüsse zog. Er zumindest schien meine missliche Lage zu erkennen, stellte sich als Jonathan MacDuffnet vor und fragte nach meinem Begehr. Nachdem ich ihm kurz Tante Henriettas Leid geschildert hatte, reichte er mir zwei Schlüssel und beschrieb mir den Weg zu unseren Zimmern.
    Ich legte mich wieder ins Geschirr, um das Gepäck aufzunehmen, und fand noch eine freie Hand, um meine Tante von der Wand zu lösen.
    »Komm, Tante Henrietta, gleich kannst du dich etwas hinlegen.«
    »Urrgh!«, wiederholte sie und stützte sich auf meinen Arm. Ich ging fast in die Knie, aber mit einiger Anstrengung schafften wir es, durch zwei unübersichtliche Fluchten zu wanken und Wunder über Wunder vor den angegebenen Zimmertüren zu stehen. Ich bugsierte Tante Henrietta in den erstbesten Raum, öffnete die Badezimmertür und schob sie in diese Richtung.
    Dann ließ ich sie erst einmal mit ihrem Elend allein und suchte das andere Zimmer auf.
    Es passiert zwar nicht oft, aber hin und wieder habe auch ich ein klein wenig Glück im Leben. Es war das Zimmer mit der schöneren Aussicht. Der Blick aus dem zweiten Stock war einmalig. Zu Füßen das Hotels schmiegte sich der See, der Loch Naw genannt wurde, lang hingezogen in ein enges Tal, eingerahmt von Hügeln, die mal mit frühlingsgrünem Wald, mal mit trockenem braunem Heidekraut bewachsen waren. Um den Loch leuchteten die Wiesen tiefgrün, im leicht bewegten Wasser des Sees spiegelten sich die Gipfel der kahlen Felsen und die schnell dahinziehenden Wolken. Es verursachte mir das Gefühl großer Vertrautheit, obwohl ich noch nie in meinem Leben in Schottland gewesen war. Die kargen Berghänge, das Fehlen jeder zivilisatorischen Merkmale, die Weite des Himmels, das Glitzern des vermutlich eiskalten Wassers rührten mich tief an. Auf den Weiden standen einige weiße Flecken, wahrscheinlich Schafe. Die eine oder andere Feldsteinhütte, halb zerfallen zwischen dem Heidekraut, mochte vor Zeiten den rauen Hochland-Bauern als Heim gedient haben. Fast vermeinte ich das glosende Torffeuer zu riechen, die rauen Wollstoffe zu fühlen, mit denen sie sich kleideten, den Duft ihrer kargen Mahlzeiten wahrzunehmen …
    »Margita, es geht mir schlecht. Und du träumst wieder vor dich hin.«
    Tante Henrietta lehnte schwach an dem Türrahmen.
    »Ja, Tante Henrietta.«
    »Was heißt ›Ja‹?«
    »Ja, ich träume vor mich hin, und ja, es geht dir schlecht.«
    »Sei nicht unverschämt, Margita. Ich lege mich etwas hin, häng meine Sachen weg.«
    »Ja, Tante Henrietta.«
    Ich riss mich endgültig von dem Blick in die große Freiheit los und kehrte zurück in meinen Kerker familiärer Verpflichtungen. Gehorsam folgte ich meiner Tante in ihr Zimmer, reichte ihr wie eine brave Zofe den Morgenmantel, legte das Nachthemd heraus, hängte ihr solides Reisekostüm auf Bügel und faltete Pullover und Bluse sorgfältig zusammen. Dann schlug ich ihr Bett zurück, schüttelte das Kopfkissen auf und fragte vorsichtig durch die geschlossene Badezimmertür, ob sie noch etwas wünsche. Dann zog ich mich mit dem trüben Gedanken zurück, dass ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher