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Machtlos

Machtlos

Titel: Machtlos
Autoren: Johanna Benden
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keuchte.
    Sie würde so lange leben wie Jaromir. Und während ihre Familie und auch ihre Freunde mit der Zeit alterten und schließlich starben, würde sie weiterhin jung bleiben und leben – Jahrzehnt für Jahrzehnt.
    Und wenn sie neue Menschen kennenlernte, würden auch diese wieder altern und sterben.
    Sie rang nach Luft. „Ich werde alle meine Freunde sterben sehen!“
    Jaromir zog sie an sich und flüsterte: „Nein Victoria, nicht alle. Ich werde immer bei dir sein und auch viele unserer Drachenfreunde werden uns während unseres langen Lebens begleiten . Du wirst nie allein sein.“
    Victoria starrte vor sich hin.
    Sie hatte gewusst, dass Gefährten so lange wie ihre Drachenpartner lebten. Sie hatte es gewusst – aber sie hatte nicht an die Konsequenzen gedacht!
    Sie hatte das Gefühl, jemand zog ihr den Boden unter den Füßen weg. „Was habe ich noch alles nicht bedacht? Ich bin dieselbe, aber mein Leben hat sich komplett verändert. Ich komme da nicht mehr mit!“
    Langsam stiegen Bilder in ihr hoch:
    Ihr Vater war achtzig, saß im Rollstuhl und sie – immer noch jung wie am heutigen Tag – schob ihn durch den Garten ihres Elternhauses. Das Bild verschwamm und ein neues tauchte auf: Sie traf ihre Freunde in einer Bar. Alle waren um die fünfzig und sprachen über die guten alten Zeiten. Sie selbst saß wie ein studentischer Fremdkörper dazwischen – gehörte nicht dazu. Neues Bild: Ihr Bruder Max war Großvater geworden und las mit seinem Enkel auf dem Schoß ein Bilderbuch. Victoria saß daneben – immer noch 21. Neues Bild: Sie war auf Kerstins Beerdigung. Ihre Freundin war als alte Frau gestorben. Sie selbst sah keinen Tag älter aus als ihre Urenkelin. Die Bilder drehten sich immer schneller. Immer mehr Särge tauchen auf und sie war immer noch jung. Verflucht jung!
    Tränen liefen über ihre Wangen.
    Jaromir nahm sie behutsam in den Arm und wiegte sie langsam hin und her. Er versuchte gar nicht erst, sie abzulenken oder zu beruhigen, denn er wusste, dass Victoria diese Erkenntnisse verarbeiten musste.
    Sie war kein normaler Mensch mehr. Sie war jetzt seine Gefährtin und sie würden bis an ihr gemeinsames Ende miteinander verbunden sein.
    Den Gedanken, dass Victoria sich auf keinen Fall ewig jung ihren alternden Freunden und ihrer Familie zeigen durfte, verbarg Jaromir vor seiner Gefährtin. Es war ihm schmerzlich bewusst, dass das Geheimnis der Drachen und damit auch das der Gefährten vor den Menschen gehütet werden musste. Aber bis Victorias anhaltende Jugend zum Problem werden würde, vergingen noch Jahre. Und wer weiß, vielleicht fanden sie bis dahin eine Lösung…
    Jaromir hielt sie minutenlang einfach nur im Arm und war da – mehr konnte er nicht tun. Es tat ihm weh, sie so leiden zu sehen. Doch selbst wenn er es gewollt hätte: Er hätte sie nicht mehr frei geben können.
    Bei diesen Gedanken löste sich Victoria aus seinen Armen und sah ihn an. „Für keinen Preis der Welt würde ich auch nur eine Sekunde meines Lebens ohne dich verbringen wollen.“
    Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und sagte trotzig: „Wenn meine Mutter mich deinetwegen nicht mehr sehen will, dann werde ich damit leben. … Und das werde ich ihr jetzt auch sagen.“
    Sie stand auf und wollte wieder in Richtung Stadt gehen, doch Jaromir hielt sie fest. „Warte noch, Victoria.“
    Er führte sie durch seinen Geist und sie konnte sehen, dass ihr Vater Jaromir inständig gebeten hatte, nach dem Spaziergang noch einmal zurückzukommen. Hartmut wollte mit seiner Frau reden, so wie er es immer getan hatte. Zum Abschluss hatte er leise gesagt: „Jaromir, ich weiß, dass Giesela dich beleidigt hat und das tut mir sehr leid. Bitte tu das für Victoria. Ich kann sehen, dass du sie liebst. Und Victoria liebt ihre Mutter, auch wenn die manchmal … schwierig ist. Sie will eben nur das Beste für ihre Tochter.“
    Daraufhin hatte Jaromir genickt: „So wie auch ich nur das Beste für meine Gefährtin will.“
    Dann hatte ihr Vater besorgt auf Victoria geblickt und sich gefragt, ob er nicht doch darauf bestehen sollte, sie ins Krankenhaus zu bringen. So apathisch hatte Harmut sein Mädchen noch nie erlebt.
    Aber ihr Freund schien die Situation im Griff zu haben. Auch wenn Jaromir ihm unheimlich war, so war Hartmut sich unerklärlicherweise sicher, dass Victoria bei ihm in den besten Händen war.
    Jaromir konzentrierte sich kurz und sagte dann: „Wir sollten ihnen noch ein paar Minuten lassen.“
    Victoria
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