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Machtlos

Machtlos

Titel: Machtlos
Autoren: Johanna Benden
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die Post rausgenommen – nein! Es werden auch die Blumen gegossen, der Rasen gemäht, der Müll an die Straße gestellt und notfalls noch die Tiere gefüttert. In unserer Straße wird sich Mehl, Zucker, Eier und sonst noch was ausgeliehen. Einbrecher werden schon vor der Tat beim Ausspionieren aufgespürt und angesprochen. Hier passt jeder auf jeden auf!“
    Victoria schnaufte verächtlich und fuhr fort: „Hört sich im ersten Moment vielleicht ganz toll an, aber die Kehrseite ist, dass die lieben Nachbarn sich eben wirklich für alles und jeden in der Straße interessieren. Manchmal habe ich den Eindruck, dass man nicht mal die Wäsche aufhängen kann, ohne dass die Nachbarschaft das mitbekommt. Und wehe, du benutzt die falschen Klammern – das ist dann sofort rum!“
    Dieser Kleinstadtmief war ihr in den letzten Schuljahren gehörig auf den Keks gegangen, so dass sie froh gewesen war, fürs Studium in die Anonymität Kiels entkommen zu können.
    Jaromir grinste belustigt, aber sie fuhr ihn halb im Ernst an: „Ja, grins du nur! Über uns werden die auch reden. Ich wohne zwar nicht mehr zu Hause, aber das ist egal – die Nachbarskinder gehören immer dazu, egal wie alt sie sind und wo sie leben. Also hängst du da jetzt auch mit drin!“
    Sein Grinsen wurde breiter. „Oh Mann, dann sollte ich mich wohl besser gut benehmen.“
    Sie nickte. „Ja, das solltest du. Besser ist das!“
    Sie unterhielten sich angeregt und nach dem verkrampften Nachmittag tat Victoria das einfach gut. Außerdem hatte sie in der letzten Woche viel zu wenig Zeit mit Jaromir allein verbringen können. Ständig hatten sie Besuch von anderen Drachen gehabt.
    Abrexar hatte dieser «Kontaktpflege» die höchste Priorität eingeräumt und war überzeugt, dass die Besucherzahl in ein paar Wochen von allein abnehmen würde. Solange das allgemeine Interesse an den Gefährten noch anhielt, sollten so viele Drachen wie möglich sie persönlich kennenlernen. Abrexar war der Meinung, dass der direkte Kontakt ihnen Sympathien brachte und das konnte nicht schaden, falls die Goldenen neue Intrigen gegen sie spannen.
    Und die Zeit, die Lenir in seiner Funktion als Gästekoordinator nicht verplant hatte, war für Hoggi und seinen Unterricht reserviert. Aber heute hatten sie seit dem frühen Nachmittag frei und auch am Abend waren keine weiteren Termine geplant.
    Victoria fühlte sich erleichtert, jetzt, da sie den unangenehmen Pflichtbesuch bei ihren Eltern abgehakt hatten. Es war 17 Uhr und sie fuhren gerade aus Itzehoe heraus. „Der Rest des Tages gehört nur uns!“ , dachte sie beschwingt und hatte plötzlich eine Idee.
    Jaromir hatte die Bilder über ihre Geistesverbindung gesehen und drehte sich mit leuchtenden Augen zu ihr um. „Das machen wir, Vici! Wir sind schon die ganze Woche nicht mehr in der Luft gewesen. Und in ein paar Minuten haben wir das Waldstück erreicht, in dem wir unsere ersten Flugstunden hatten.“
    Sie konnte spüren, wie sehr sich auch Jaromir nach ein wenig Freiheit sehnte. Sie lächelte und sagte: „Ich weiß nicht wieso, aber ich schleppe schon die ganze Woche die Flugmontur mit mir herum, die Hoggi in Schweden für mich gemacht hat. Sie lässt sich so klein zusammenlegen, dass sie bequem in meinen Rucksack passt. Und nach dem Angriff bei der Steilküste mag ich irgendwie nicht mehr ohne sie das Haus verlassen… ich bin schon verrückt, was?“
    Jaromir lächelte sie warm an. „Nicht verrückter als ich…“
    Eine Viertelstunde später saß Victoria auf Jaromirs Drachenrücken. Sie flogen bei herrlichem Wetter dicht über die Baumwipfel. Jaromir war unsichtbar, um das Risiko, entdeckt zu werden, so klein wie möglich zu halten.
    Seit der Schlacht in Nordschweden war es das erste Mal, dass sie wieder in der Luft waren. Erst jetzt wurde Victoria bewusst, dass die Vollendung ihrer Verbindung auch auf das Fliegen Einfluss hatte. Es fiel ihr heute deutlich leichter als jemals zuvor, sich oben zu halten. Klar, ab und zu rutschte sie ein wenig, aber sie fühlte sich sicher und kostete den Flug voll aus.
    Sie leerte ihren Geist und tauchte voll ins Hier und Jetzt. Sie sah das satte Grün unter sich, roch den herrlichen Duft des Waldes, spürte die Sonne im Gesicht und den warmen Wind, der mit ihren Haaren spielte und sanft Jaromirs Schwingen umfloss.
    In diesem Moment wurden Jaromir und Victoria zu einer Einheit, zu einem Wesen. Victoria WAR der Drache. Sie sah die Welt unter sich mit Jaromirs Augen, spürte die Thermik unter
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