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Machtlos

Machtlos

Titel: Machtlos
Autoren: Johanna Benden
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… Freund … da.“
    Hartmut sah seine Tochter und lächelte sie herzlich an.
    Sie und Jaromir waren Hand in Hand gegangen. Eher gesagt, hatte Victoria seine Hand umklammert, als hätte sie Angst, abzustürzen und seine Hand war der einzige Halt, den sie hier finden konnte.
    Das schien ihrem Vater nicht entgangen zu sein. Sein Blick wanderte über die verschlungenen Hände hoch zu Jaromirs Gesicht. „Der junge Mann ist älter, als ich erwartet hätte. Und irgendwie unheimlich…“
    Doch dann blickte Hartmut erneut ins Gesicht seiner Tochter. Die sah ihren Freund in diesem Augenblick an und schien stumm mit ihm zu kommunizieren. Die jungen Leute blickten sich mit einer Innigkeit an, die Hartmut noch nie zuvor gesehen hatte. Nun entspannte sich das Gesicht seiner Tochter etwas und in diesem Moment beschloss er, seine eigenen Bedenken beiseite zu schieben.
    Victoria versuchte, sich zusammenzureißen. Die Gedanken ihrer Mutter machten sie fertig. Giesela ging im Geiste nun alle Möglichkeiten durch, die sie als Mutter hatte, um ihre Tochter vor diesem furchterregenden Mann zu retten und sie irgendwie aus dieser ungesunden Beziehung herauszuholen. Sie nahm sich sogar vor, mit Mark zu reden.
    Diese Gedanken erdrückten Victoria fast und so schrie sie innerlich: „Sag mal, spinnt die?! Mark war der Kerl, der meine Sachen in Müllsäcken vor unserem Haus abgeladen hat! Hat sie das etwa vergessen?!!!“
    Jaromir drückte ihre Hand und versuchte, sie zu beruhigen. „Hey Victoria, deiner Mutter geht es wie so vielen Menschen – sie hat einfach Angst vor mir. Und du bist ihr so wichtig, dass sie dich beschützen muss. Versuch das positiv zu sehen… Und jetzt solltest du mich vorstellen. Das Schweigen wird langsam unangenehm und macht alles nur noch schlimmer.“
    Victoria nickte steif und versuchte ein Lächeln.
    Sie sah ihre Eltern an. „Hallo Papa, hi Mama… also, das ist mein Freund Jaromir. Jaromir, das sind meine Eltern.“
    Jaromir verzichtete ganz bewusst darauf, Giesela und Hartmut die Hand zu geben und hob sie nur lässig zum Gruß. „Hallo. Es freut mich sehr, Sie endlich kennenzulernen. Victoria hat mir in den letzten Monaten schon viel von Ihnen und ihrer schönen Heimatstadt vorgeschwärmt.“
    Er hielt sich im Hintergrund, um ihren Eltern den Raum zu geben, den Schock seiner Gegenwart zu verdauen.
    Dann schwiegen wieder alle und Victoria wäre am liebsten weggerannt. Das hier war noch viel schrecklicher, als sie befürchtet hatte!
    Nach ein paar zähen Augenblicken stand Victorias Vater auf und streckte Jaromir seine Hand entgegen. „Hallo Jaromir, ich bin Hartmut.“
    Als Hartmut in Jaromirs Aura trat und sich ihre Hände berührten, hätte Victorias Vater Jaromirs Hand gern sofort wieder losgelassen.
    Aber er blieb bei seinem Entschluss, den Freund seiner Tochter zu akzeptieren und sagte auffallend locker: „Setzt euch doch, Kinder! Giesela hat den ganzen Vormittag in der Küche gezaubert – wäre doch schade, wenn die Torte in der Hitze zerfließt…“ Dann grinste er und zwinkerte Victoria zu.
    Giesela hätte ihren Mann am liebsten mit Blicken getötet und bezeichnete ihn in Gedanken als „ Verräter – von wegen «Kinder»! Der Kerl ist doch mindestens dreißig!“
    Trotzdem fragte sie unbeholfen und betont distanziert: „Was möchten Sie denn trinken Herr…!“
    Jaromir lächelte freundlich. „Custos Portae – Jaromir Custos Portae.“
    Giesela fuhr steif fort: „Also, Herr Custos Portae, möchten Sie Tee oder Kaffee?“
    Er lächelte gelassen weiter. „Ich nehme gern einen Kaffee, wenn es Ihnen keine Umstände macht, Frau Abendrot.“
    In Gedanken schimpfte Victorias Mutter den Freund ihrer Tochter einen aalglatten Lackaffen – „Wir werden ja sehen, wie lange der Typ seine schmierigen Finger noch an meine Victoria legt!“ – und schenkte Jaromir widerwillig eine Tasse Kaffee ein.
    Bis die Torte verteilt war, herrschte wieder eisiges Schweigen.
    Gieselas Gedanken überschlugen sich. Sie fragte sich, was dieser alte Knacker die ganze Zeit an der Uni gemacht hatte und wovon er überhaupt lebte; ob er in dubiose Geschäfte verstrickt war, denn die Klamotten, die er trug, sahen ziemlich teuer aus. Und was er mit ihrer kleinen Tochter vorhatte!
    Victoria konnte das kaum aushalten.
    Sie wollte die Gedanken ihrer Mutter nicht hören. Von Minute zu Minute verstärkte sich bei ihr der Eindruck, als wären Gieselas Gedanken ihre eigenen. Sie waren so schrecklich schrill, intensiv und laut,
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