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Macht Musik schlau?

Macht Musik schlau?

Titel: Macht Musik schlau?
Autoren: Lutz Jäncke
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nicht begründet war, hat sich dieser Begriff (wie auch die von Tomatis begründete und gleichsam wissenschaftlich nicht belegte Tomatis-Therapie 2 ) insbesondere in der populärwissenschaftlichenPresse und Literatur gehalten. Die Ideen und Spekulationen der Tomatis-Therapie wurden nie ernsthaft einer wissenschaftlichen Überprüfung unterzogen. Aus diesem Grunde liegt auch bis heute nicht eine wissenschaftliche Publikation in einer angesehenen wissenschaftlichen Zeitung vor (!), welche die Wirksamkeit der Tomatis-Therapie und des von Tomatis angenommenen Effektes des Musikhörens auf die kindliche Hirnentwicklung belegt.
    Anders verhält es sich mit einem in der Folge ebenfalls als «Mozart-Effekt» beschriebenen Phänomens, das prinzipiell nichts mit der von Tomatis beschriebenen Spekulation gemein hat. Dieses Phänomen beruht auf einer Publikation der Psychologen Frances Rauscher und Kim Ky sowie des Physikers Gordon Shaw in der angesehenen wissenschaftlichen Zeitschrift
Nature
aus dem Jahr 1993 (Rauscher, Shaw und Ky, 1993). Grundlage dieser Publikation ist ein Modell, das der Physiker Gordon Shaw bereits in anderen nicht minder angesehenen wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht hatte (Shaw, Silverman und Pearson, 1985). Zentrale Annahme dieses Modells ist, dass eine Reihe von Denk- und Wahrnehmungsprozessen mit ganz spezifischen Aktivierungsmustern im Gehirn gekoppelt seien. Diese Aktivierungsmuster sollen im Hinblick auf ihre räumliche Verteilung (symmetrisch um den Aktivierungsfokus) und ihre zeitliche Entwicklung spezifisch sein. Diese Überlegung wird anhand des von Shaw vorgeschlagenen Trionen-Modells mit Grundprinzipien der menschlichen Neuroanatomie in Verbindung gebracht.
    Grundannahme dieses Modells sind die «Trione». Der Begriff «Trione» wurde ursprünglich von Gordon Shaw geprägt und soll Teile von kortikalen Kolumnen beschreiben. Kortikale Kolumnen sind senkrecht angeordnete Säulen in der Hirnrinde, in denen die Nervenzellen zu funktionellen Einheiten zusammengeschaltet sind. Die einzelnen Trione sind wiederum zu größeren Netzwerken (Trionennetzwerken) zusammengeschlossen. Diese Gruppe von Kolumnen kann viele raum-zeitliche Aktivierungsmusterannehmen. Damit ist gemeint, dass durch unterschiedliche Aktivierungsmuster verschiedene Trione zu unterschiedlichen Zeitpunkten aktiv werden können. Nicht nur das raum-zeitliche Aktivierungsmuster kann sich ändern, sondern auch die Aktivitätsstärke. So sollen mindestens drei Aktivitätsstärken, nämlich durchschnittlich, unterdurchschnittlich und überdurchschnittlich, möglich sein. Je nach Aktivierungsmuster sollen verschiedene Gedächtnisfunktionen mehr oder weniger besser ablaufen. Shaw geht davon aus, dass für verschiedene intellektuelle Leistungen bestimmte Aktivierungsmuster von Trionennetzwerken typisch seien. Je nach durchgeführter intellektueller Leistung sollen diese neuronalen Aktivierungsmuster in ganz bestimmten Hirngebieten auftreten. Grundsätzlich werden im Rahmen dieses Modells zwei unterschiedliche Typen des Denkens bzw. von intellektuellen Funktionen unterschieden, die jeweils mit unterschiedlichen raum-zeitlichen Hirnaktivierungsmustern einhergehen sollen: (1) das so genannte räumlich-zeitliche (
spatialtemporal
: ST) und (2) das sprachlich-analytische (
language-analytic
: LA) Denken. Beide Denktypen sollen grundlegend für unser Problemlösen und unsere Kreativität sein. Hierbei sollen beide Denktypen abwechselnd als Strategien eingesetzt werden. Die sprachlich-analytische Strategie soll vor allem dann eingesetzt werden, wenn wir Probleme lösen und zu quantitativen Ergebnissen kommen. Die Strategie des räumlichzeitlichen Verarbeitens soll dann zum Einsatz kommen, wenn wir mentale Bilder verarbeiten und diese auch zum Lösen von zukünftigen oder gegenwärtigen Problemen nutzen (z.B. beim Schach, wenn mehrere Züge im Voraus geplant werden).
    Die interessante (allerdings vereinfachende) Annahme von Shaw ist, dass räumlich-zeitliche Verarbeitungsmuster grundlegend für einige kognitive Prozesse seien. So sollen mathematisches Schlussfolgern, logisches Denken und die Verarbeitung bzw. Wahrnehmung bestimmter Musikstücke eher durch ganz bestimmte räumlich-zeitliche Aktivierungsmuster in bestimmten Hirnregionen gefördert werden. Der Kern der Überlegung ist, dass diese jeweils spezifische Hirnaktivierung zu eher
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