Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Macho Man: Roman (German Edition)

Macho Man: Roman (German Edition)

Titel: Macho Man: Roman (German Edition)
Autoren: Moritz Netenjakob
Vom Netzwerk:
– zum einen, weil ich es geschafft habe, Aylin für fast eine ganze Sekunde in die Augen zu schauen, zum anderen, weil mir just in diesem Moment auffällt, dass ich im Whirlpool meinen Zimmerschlüssel verloren habe.
    »Excuse me, I have lost my, äh, room-key in the whirlpool.«
    Der verständnislos-wütende Blick der Russin verrät mir, dass sie der englischen Sprache nicht mächtig ist. Durch die Blubberblasen sehe ich den Schlüssel ausgerechnet zwischen ihren Füßen aufblitzen. Toll, wahrscheinlich ist sie die Frau eines kasachischen Öl-Milliardärs, der mich sofort liquidieren lässt, wenn er sieht, dass ich seiner Olga zwischen den Füßen rumfummle.
    Da muss ich jetzt wohl durch. Ich klettere also zurück in den Whirlpool und setze mich zunächst einmal unauffällig auf die andere Seite. Dabei grinse ich Olga entschuldigend an. Ihre Gesichtsmuskeln entspannen sich. Dann versuche ich, den Schlüssel so unauffällig wie möglich mit dem rechten Fuß zu mir herzuziehen. Leider verzerren die vielen Blubberblasen ein wenig die Perspektive, und so erwische ich irgendetwas Weiches. Die Augen der Russin weiten sich beängstigend. Erneut dehnt sich die Zeit und macht Platz für Gedanken ...
    • Scheiße! Wenn sie früher Kugelstoßerin war, dann bin ich verloren!
    • Wie sagt man auf Russisch: »Warten Sie bitte einen Moment! Bevor Sie mein Genick brechen, möchte ich noch wissen, wie der 1. FC Köln gespielt hat«?
    • Warum sind in meinem Kopf immer alle Russinnen Kugelstoßerinnen? Das ist doch ein blödes Klischee.
    • Ich habe mich bisher viel zu selten mit russischer Literatur beschäftigt.
    •Na und? Dann ist es halt ein beschissenes Klischee! Man muss doch nicht unter Todesbedrohung philosophisch anspruchsvolle Gedanken haben, verdammte Scheiße!
    • Ich sollte vielleicht mal meinen Fuß wegziehen ...
    Gott sei Dank, soooo böse scheint die Russin gar nicht zu sein. Puh, noch mal gut gegangen. Sie schaut sogar ziemlich versöhnlich. Ein bisschen zu versöhnlich. O nein – sie hat das missverstanden. Sie will mich küssen. Dabei wirft sie sich mit ihren hundert Kilo auf mich und drückt mich unter Wasser, wo ich eine geballte Ladung Blubberblasen direkt in die Nase bekomme. Eine Rangelei entsteht, die von der Russin als Vorspiel und von mir als Todeskampf wahrgenommen wird. Sie wird immer wilder. Ich nutze den kurzen Moment, in dem sie ihren Blümchen-Badeanzug von der Schulter streifen will, um mich kurz vor dem Erstickungstod mit letzter Kraft an den Beckenrand zu retten. Aus dem Augenwinkel sehe ich Aylin. Ich versuche, möglichst maskulin zu wirken – was relativ schwierig ist, wenn man mit blauen Flecken übersät nach Luft ringend auf dem Boden liegt, einem Wasser aus den Nasenlöchern läuft und neben einem im Whirlpool eine 100 Kilo schwere 70-jährige Russin frivol grinsend den Zimmerschlüssel hochhält.
    Aylin kommt zu mir. Eigentlich der perfekte Zeitpunkt für ein romantisches Treffen: Wegen der Schmerzen am ganzen Körper und der Angst vor der Russin spüre ich meine Nervosität kaum noch.
    »Hallo, Aylin. Mach dir keine Sorgen – die Frau ist meine Wrestling-Trainerin.«
    Aylin lacht. Strike! Ich habe sie zum Lachen gebracht. Mein Gott, was für ein süßes Lachen. Bezaubernd. Ich schmelze dahin.
    »Soll ich dich zum Arzt bringen?«
    »Nein, nein, es ist nicht so schlimm.«
    Verdammt, warum habe ich das nur gesagt? Ich hätte den sterbenden Schwan mimen können, mich bei ihr aufstützen (Körperkontakt!) und sie dabei in ein Gespräch verwickeln können. Stattdessen versuche ich es im aufrechten Gang bis zur Pool-Bar zu schaffen – gegen den Willen meines Körpers. Es muss etwa soaussehen wie eine Ente mit Osteoporose, die über ein Nagelbett watschelt.
    Während sich Aylin wieder den Kindern zuwendet, denke ich plötzlich: »Mist, die Russin!« Zu allem Überfluss kriege ich jetzt auch noch Mitleid mit ihr. Vielleicht hat sie ihren Mann im Afghanistankrieg verloren und wartet seitdem vergeblich auf ein sexuelles Abenteuer. Und jetzt lasse ich sie einfach herzlos im Whirlpool liegen. Ich müsste doch wenigstens versuchen, einen netten Rentner für sie zu finden, mit dem sie gemeinsam in ihrer sibirischen Datscha Schneehasen füttern kann.
    Machen sich die türkischen Machos eigentlich auch solche Gedanken, oder hat man am Ende sogar mehr Erfolg bei Frauen, wenn man sich solche Gedanken nicht macht? Ich werde aus meinen Überlegungen gerissen, als mich der dicke Stahlanhänger meines
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher