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Macho Man: Roman (German Edition)

Macho Man: Roman (German Edition)

Titel: Macho Man: Roman (German Edition)
Autoren: Moritz Netenjakob
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Worthülsen eines SPD-Parteitags, und das ZDF kommt bei »Leute heute« seiner öffentlich-rechtlichen Informationspflicht nach, indem es uns über den neuen Brustumfang von Brigitte Nielsen in Kenntnis setzt. Lediglich 3sat rettet ansatzweise das Niveau – mit einem Bericht über die unterschätzte Gefahr durch Getreideschimmelkäfer.
    Schließlich lande ich bei KRAL, einer Art anatolischem MTV, wo ein türkischer Macho, der offensichtlich von seiner Freundin verlassen wurde, seinen Gefühlen in einer arabesken Jodelarie freien Lauf lässt. Dabei wirft er sich theatralisch auf den Boden, wird von mehreren Autos überfahren, steht wieder auf, reißt sich die Fetzen seines T-Shirts von der Brust, jammert weiter und wird schließlich erneut überfahren, nur um auch dieses Mal heldenhaft wieder aufzustehen und das Lied mit einem markerschütternden Stoßseufzer zu beenden. Eigentlich sehr gelungener Slapstick, aber wahrscheinlich gilt es in der Türkei als besonders männlich, mit nacktem Oberkörper von Autos überfahren zu werden. Ich sollte das auch mal machen, dann könnte ich gleichzeitig meine gescheiterte Beziehung verarbeiten und Aylin beeindrucken. Aylin – ich muss sie sehen. Sofort. Mir ist egal, was sie denkt. Es ist sowieso hoffnungslos. Ich ziehe mir eine lange Leinenhose und ein langärmliges T-Shirt an, sodass meine blauen Flecken einigermaßen kaschiert sind. Am Pool treffe ich Mark.
    »Ey, Mark, alte Stinknase, was geht panikmäßig ab?«
    »Daniel, ey, dübndüdüüü ... äh, haha, das machen wir immer, wir, äh, das ist so ein Quatsch zwischen uns.«
    Mark will gerade mit mehreren Frauen zum Tennis gehen. Da ist es ihm peinlich, Udo Lindenberg zu imitieren. Verräter. Ich ziehe ihn beiseite.
    »Sag mal, hast du Aylin gesehen?«
    »Ich hab doch gesagt, vergiss sie.«
    »Hab ich ja auch. Aber jetzt ist sie mir wieder eingefallen.«
    »Bitte – wenn du dich unglücklich machen willst: Sie ist im Amphitheater und übt mit den Kindern Discotänze.«
     
    Das Amphitheater ist natürlich nicht antik, sondern von Hotel-Architekten entworfen – aber mit Stil: die Bühne nach hinten offen, mit dem Meer als natürlicher Kulisse. Aylin tanzt gerade direkt vor der untergehenden Sonne einer Horde von Drei- bis Zehnjährigen ein paar einfache Discoschritte vor – genug, um zu sehen, dass sie ihren Körper sehr elegant bewegen kann. Da sieht sie mich und winkt. Ich schaue mich um, um sicherzugehen, dass sie wirklich mich meint. Ich kontrolliere das immer, seit ich in der 11. Klasse einmal Gaby Haas zurückgewunken habe, obwohl sie eigentlich Christoph Berger gegrüßt hatte, der hinter mir stand. Um die peinliche Situation zu überspielen, bin ich dann wie Otto Waalkes mit einem »Jaaaaa – hollerähitiii« weggehüpft. Schon in dem Moment habe ich gemerkt, dass das noch peinlicher war, aber ich konnte mich nicht mehr stoppen. Eine absolut traumatische Erfahrung – auch wenn mein Vater das nicht so schlimm fand. Klar, in seiner Kindheit war der Krieg. Und objektiv gesehen ist es natürlich schlimmer, Bombenangriffe zu erleben, als sich vor Gaby Haas zu blamieren. Aber was ich persönlich als traumatisch empfinde, ist immer noch meine Sache.
    Aylin meint wirklich mich. Sie winkt mich zu sich. Ich gehe. Oder besser: Ich schwebe. Und diesmal stürze ich nicht. Na bitte.
    »Hey, Daniel, willst du auch mittanzen?«
    Aylin lächelt mir zu. Ich brauche etwas zu lange, um die Information zu verarbeiten: Sie will, dass ich tanze. Ich will sie beeindrucken. Tanzen und Aylin beeindrucken – das geht definitiv nicht gleichzeitig.
    »Klar, tanzen. Warum nicht?«
    Wieso mache ich mir eigentlich Gedanken, wenn ich dann eh immer irgendeinen Mist sage? Aylin fordert mich auf. Ich scanne kurz meine tänzerischen Möglichkeiten ab. Ich habe zwei zur Auswahl:
    • pseudo-cool verkrampft,
    • relativ locker, aber wie Udo Lindenberg.
    Während ich noch intensiv die eine gegen die andere Möglichkeit abwäge, merke ich, dass sich meine Gesichtsmimik schon für Udo Lindenberg entschieden hat – und der Körper folgt. Die Kinder lachen. Aylin lacht. Vielleicht findet sie mich nicht besonders sexy, aber sympathisch findet sie mich schon. Glaube ich. Wenige Minuten später tanzen alle Kinder wie Udo Lindenberg – sogar englische und russische.
    Als die Kinder von ihren Eltern abgeholt werden, muss ich einem fassungslosen englischen Vater erklären, dass seine Tochter nicht von einer spontanen Bewegungsstörung heimgesucht wurde,
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