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Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Titel: Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
Autoren: Volker Reinhardt
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Notwendige und die vom Geschichtsverlauf ein einziges Mal gebotene Gelegenheit, und darüber hinaus die Vorstellung von der ewigen Wiederkehr der Vergangenheit zu eigen. Darüber hinaus wurde ihm Machiavelli zum Kronzeugen für eine neue Moral, die die Zwänge des Christentums überwunden hat. Nach der Abschüttelung dieses Jochs kann der Einzelne sich in seiner ganzen skrupel- und ruchlosen Herrlichkeit entfalten wie Machiavellis idealer Fürst. Cesare Borgia an der Spitze der Christenheit: Das war für Nietzsche das Zeichen einer neuen Zeit, in der die Kräfte des Lebens triumphieren würden. Doch deren Anbruch blieb aus, der schlechte Mönch Luther erneuerte das Christentum, die italienische Renaissance mit ihrem Prototypen Machiavelli erwies sich als vergeblich.
    Auch im 20. Jahrhundert schieden sich an Machiavelli die Geister. Für Vordenker des totalitären Staats wie Carl Schmitt, der Staatsräson als natürliche Humanität und von der modernen Staatenwelt längst eingelöst betrachtete, und Benito Mussolini, den Führer des italienischen Faschismus, wurde er zum Propheten der wahren Politik. Im Principe wie in den Discorsi fand diese intellektuelle Vorhut einer rechts-autoritären Wende ihre Kernprinzipien vorgeprägt: dass der erfolgreiche Volksführer über dem Recht steht, das er nach Belieben für seine Zwecke einsetzt und bei Bedarf beugt, dass sich der wahre Herrscher im Krieg profiliert und qualifiziert, dass die Masse geformt werden will und der dynamische Staat die Gewalt und ihre Mythen pflegen muss. Gegen diese Vereinnahmung als Vorläufer von Faschismus und Nationalsozialismus nahm der unorthodoxe Marxist Antonio Gramsci Machiavelli ausdrücklich in Schutz. Statt als Vordenker vermeintlich ewiger Staats- und Geschichtsprinzipien sieht Gramsci Machiavelli als Kind seiner Zeit, für deren Probleme er nach Lösungen sucht. Mit seinem Ruf nach dem vollendeten Fürsten und seinem Entwurf der idealen Republik habe Machiavelli ebenso originell wie produktiv auf die Krisensymptome der italienischen Renaissance reagiert. Diese bestanden laut Gramsci in den unaufhebbaren Widersprüchen zwischen den aristokratischen Feudalgewalten und frühkapitalistischen städtischen Führungsschichten, die zusammen mit günstigeren Produktionsformen nach neuen, post-feudalen Gesellschafts- und Staatsverhältnissen strebten, doch im 16. Jahrhundert zunehmend von den reaktionären Gegenmächten Spanien und dem gegenreformatorischen Papsttum bedroht waren. In dieser Auseinandersetzung stellte sich Machiavelli laut Gramsci mit seinem Plädoyer für einen starken und vor allem egalitären Staat an die Seite der zukunftsfähigen Mächte, das heißt der Bürger, Bauern und Arbeiter. So fand der im Kerker Mussolinis schreibende Marxist Gramsci in Machiavelli den Vertreter eines «progressiven» Bürgertums, dessen Fehlen die italienische Geschichte der Folgezeit mit gravierenden Folgen für die Gegenwart überschattete.
    Doch auch ein tiefes Unbehagen an den verstörenden Thesen des beunruhigenden Denkers Machiavelli artikulierte sich im 20. Jahrhundert, bezeichnenderweise nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs. So hielt der Philosoph und Politiktheoretiker Leo Strauss, der als Jude vor dem nationalsozialistischen Terror aus Deutschland in die USA geflohen war, in seinen 1958 erschienenen Thoughts on Machiavelli dem Autor des Principe und der Discorsi die Zerstörung einer abendländischen Tradition vor, die den Menschen in der Geschichte ganzheitlich, eingebettet in die Natur und die höheren Mächte der Religion, betrachtet hatte. Machiavelli, der destruktive Entzauberer der Welt und des Menschen, stand so am Anfang einer Entwicklung, die jegliches Geheimnis, die Verehrung des Göttlichen und das Gewissen aus der Politik vertrieb und stattdessen einzig und allein dem Fetisch des Erfolgs und damit der Gewalt huldigte. Zum Lehrer des Bösen in der Politik wurde der Florentiner für Strauss vor allem dadurch, dass er Religion, unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt, zum reinen Herrschaftsinstrument degradierte und die Politik von jeder Anbindung an höhere moralische Werte ablöste. Damit habe Machiavelli einem kalten, inhumanen Rationalismus Bahn gebrochen, wie er in den totalitären Staaten des 20. Jahrhunderts kulminierte, doch auch in den Demokratien Europas, von Hobbes und Rousseau weitergedacht, gefährliche Werteverluste befördert habe. Ausgenommen von diesem Siegeszug sah Strauss allein die USA, wo sich das
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