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Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Titel: Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
Autoren: Volker Reinhardt
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meinen anderen Ansichten auch. Und da ich dieser Republik dort, wo ich ihr nützen konnte, nie meine Dienste versagt habe, sondern im Gegenteil immer treu ergeben war, mit Taten, wo möglich, sonst mit Worten und, wo auch das nicht ging, mit Andeutungen, so will ich sie auch diesmal nicht im Stich lassen. Ich bin mir wohl bewusst, dass ich auch in dieser Hinsicht wie bei so vielen anderen Dingen anderer Meinung bin. Die braven Florentiner wollen einen Prediger, der ihnen den Weg ins Paradies aufzeigt, ich aber möchte einen finden, der sie den Weg ins Haus des Teufels lehrt. Sie möchten einen gesetzten, vorsichtigen, aufrichtigen, vernünftigen Mann, ich aber will einen, der verrückter als Ponzo, schlauer als Girolamo Savonarola und heuchlerischer als Fra Alberto ist. Denn das schiene mir eine schöne Sache und der Güte der gegenwärtigen Zeiten angemessen: alles, was wir mit so vielen Mönchen erlebt haben, jetzt nochmals in einem einzigen zu erfahren. Denn das wäre, wie ich glaube, die wahre Art, ins Paradies zu gelangen: den Weg zur Hölle vor Augen zu haben und dennoch nicht zu beschreiten.[ 4 ]
    Das ging selbst dem notorischen Kirchenkritiker Guicciardini zu weit: Glaubte dieser Mensch überhaupt an Paradies und Hölle? Auch wenn sich die Schlusswendung moralisch einwandfrei auslegen ließ: Die Schmerzgrenze war mit solchen Äußerungen selbst für tolerante Zeitgenossen überschritten.
    Das wusste Machiavelli, der Querdenker, sehr genau. Er war sich bewusst, dass er sich mit seinen «exzentrischen» Meinungen unbeliebt machte und ins politische Abseits manövrierte. Doch hielt er an seinen unbequemen Urteilen fest, weil er davon überzeugt war, eine Mission zu erfüllen. So viele in ihre eitle Geschwätzigkeit verliebte humanistische Gelehrte hatten Rhetorik, Grammatik, Dichtkunst, Moralphilosophie und Geschichtsschreibung des Altertums wiederbelebt; Architekten, Bildhauer und Maler hatten sich an griechischen und römischen Kunstwerken berauscht. Doch über all diese Nebendinge hatte die Nachwelt den wahren Schatz der Antike übersehen: die ewig gültigen Gesetze der Geschichte und der Politik. Diese ehernen Regeln seiner abgesunkenen Gegenwart vor Augen zu halten und Italien dadurch aus der Talsohle der Geschichte zu neuen Höhen empor zu führen: Darin sah Machiavelli seine Aufgabe. Doch die Unbelehrbarkeit des Menschen im Allgemeinen und der Politiker im Besonderen machte ihn, den Überbringer der politisch-historischen Heilslehre, zum Sonderling; die Uneinsichtigkeit der Zeit verwandelte den politischen Missionar in den intellektuellen Hofnarren der Mächtigen. So lässt sich Machiavellis Selbsteinschätzung am Ende eines an Enttäuschungen reichen Lebens umreißen.
    Nicht er, der Denker, sondern der Lauf der Welt war «extravagant». Dieser Überzeugung gemäß musste der Mahner und Warner notwendigerweise zum Spötter werden. Ätzender Hohn und heiliger Ernst, Pathos und Ironie vermischen sich überall in seinen Texten. Davon zeugte schon sein Brief über die Anstellung des Bußpredigers für Florenz. Dass er dem Staat, solange man ihn ließ, treu bis zur Selbstaufopferung gedient habe, war Machiavellis aufrichtigstes Glaubensbekenntnis. Doch in einer verkehrten Welt ließ sich ein solches Credo nur mit nacktem Sarkasmus garnieren.
    Welche Wahrheiten hatte der Missionar im Spöttergewand seiner Zeit zu verkünden? Im Folgenden eine kleine Auswahl aus seinen Schriften, die zumindest den Eingeweihten unter seinen Zeitgenossen zugänglich waren:
    Erfolg ist das Maß aller Dinge. Erfolg rechtfertigt alles, auch die moralisch fragwürdigsten Methoden, schon deshalb, weil nach dem Triumph niemand mehr fragt, wie er zustande kam. Am erfolgreichsten aber ist, wer die Techniken der Gewalt und der Hinterlist am virtuosesten beherrscht, jeweils zur rechten Zeit und in der passenden Situation. So sollen die Vertreter der führenden Familien in einer wohlgeordneten Republik in dauernder Furcht vor dem Gesetz leben; auch wenn sie diese Regeln nicht übertreten, müssen sie durch politische Prozesse im Zaum gehalten werden. Der Staat hat also nicht nur das Recht, sondern geradezu die Pflicht, individuelle Existenzen zu vernichten, wenn es seiner Größe und Stärke dient.
    Ziel des Staates ist nicht der Friede, sondern der Krieg. Krieg allein macht eine gute Ordnung im Inneren möglich. Sie besteht darin, dass Volk und einflussreiche Persönlichkeiten in dauernder Konkurrenz leben; durch diese Reibungsfläche wird
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