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Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)

Titel: Machiavelli: oder Die Kunst der Macht (German Edition)
Autoren: Volker Reinhardt
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findet bis heute jeder Leser sofort: wegen der Komik! Zuerst nämlich schildert Machiavelli die Schlacht von Anghiari mit aller Erhabenheit, wie sie humanistische Geschichtstexte zum Ruhme der Mächtigen verlangten: Tapfere Recken prallen und schlagen aufeinander, der Kampf wogt hin und her, der Leser stellt sich ein Blutbad mit Leichenfeldern vor – und am Ende kam durch das ganze Handgemenge niemand zu Schaden. Der Lacheffekt ist damit garantiert – oder auch die Empörung derjenigen, die es besser wussten und deren patriotische Empfindungen durch diese Lüge gekränkt wurden.
    Später signierte Machiavelli einen Brief mit der Selbstbezeichnung «Historiker, Komiker und Tragiker». Darin lag ein tiefer Sinn. Der Historiker ist zugleich Komiker, weil sich die abgrundtiefe Tragödie der Gegenwart, die Italien auf den Tiefpunkt seiner Geschichte absinken ließ, nur mit Sarkasmus beschreiben lässt. Darüber hinaus liegt in dieser Berufsbezeichnung ein melancholischer Doppelsinn. Im Italienischen bedeutet Machiavellis Formel historico, comico et tragico nämlich auch: historisch, komisch und tragisch. Mit anderen Worten: Knapp zwei Jahre vor seinem Tod betrachtete sich Machiavelli als abgetan, lächerlich und auf groteske Weise unzeitgemäß. Solche Abgesänge auf das eigene Dasein bei Lebzeiten durchzogen seine Korrespondenz seit langem. Kaltgestellt, beschäftigungslos und zur Muße gezwungen, könne er weder sich selbst noch anderen etwas Gutes tun – so beantwortete er die Briefe der wenigen Verzweifelten, die von ihm, dem kaltgestellten Ex-Kanzler, Fürsprache bei den Mächtigen erwarteten.
    Doch warum stieß er die Mächtigen vor den Kopf, wenn er doch in ihre Gunst aufgenommen werden wollte? Machiavelli wollte seine Meinung sagen dürfen, ohne sich zu verbiegen. Hinter dem Zyniker und Komiker verbirgt sich ein Idealist: Machiavelli war davon überzeugt, dass man im Staat nur durch Verdienst um das Gemeinwohl aufsteigen sollte. Und obwohl er wusste, dass in Florenz wie in Rom die Chefs von nützlichen Netzwerken regierten, denen man devot dienen musste, versuchte er es stets aufs Neue mit seiner Methode, ihnen harte Wahrheiten zu sagen: komisch und tragisch, tragisch und komisch. Wer als einziger in einer korrupten Gesellschaft nicht bestechlich ist, ist beides zugleich und bleibt arm in einer Zeit, in der sich alle bereichern wollen. Auch Machiavellis lebenslange Armut, sein elendes Leben auf dem Lande unter Holzfällern und Wilderern, wurde ihm daher zum Motiv der Selbstbehauptung. Als unbestechlicher Armer unter so vielen Opportunisten fühlte er sich komisch, tragisch und letztlich heroisch, denn seine Mittellosigkeit zeugte davon, nicht käuflich zu sein.
    Alle anderen aber waren es, und zwar politisch wie privat. Politisch war diese Käuflichkeit das Übel schlechthin, doch privat war die Käuflichkeit der anderen für Machiavelli die Quelle des höchsten literarischen Genusses. «Private Politik», das war die Kunst der Verführung. Dass Machiavelli, der geistreiche Plauderer, bei Frauen Erfolg hatte und seiner treusorgenden Gattin alles andere als treu war, bildete das Tagesgespräch seiner Freunde, auf der Straße und in Briefen. Wie viel davon Aufschneiderei oder Wirklichkeit war, muss offen bleiben. Machiavelli, der Lobredner des sexuellen Freibeutertums, tritt uns in seinen Komödien entgegen. Darin treten die Parallelen zwischen erotischem Abenteuer und Krieg unübersehbar hervor. Auf dem Schlachtfeld wie in der Liebe geht es um Leben oder Tod, und daher ist alles erlaubt, was zum Erfolg führt: Betrug in höchster Potenz und Verfeinerung, gepaart mit dem Selbstbetrug, der das alles rechtfertigt. Auch das geht nicht ohne Widersprüche ab. In der wohlgeordneten Republik Machiavellis, wie sie in seinen Discorsi geschildert wird, lebt es sich sittenstreng und züchtig; monogame Bürgersoldaten zeugen reichlich Nachwuchs für Staat und Militär. Und der kluge Fürst lässt – Grundregel Nummer eins! – die Finger von den Frauen und Töchtern seiner Untertanen. Doch gelten diese strengen Regeln offensichtlich nicht für alle. So wie der kluge Politiker an die Religion seiner Untertanen nicht glauben darf, sondern diesen Glauben nur vorheucheln muss, um seine Untertanen nach Belieben lenken zu können, so ist der politische Meisterdenker nicht an die sittlichen Verhaltensregeln der großen Masse gebunden.
    Und er ist nicht der Einzige, der von diesen Regeln ausgenommen ist. In einem seiner so gut wie
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