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Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins

Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins

Titel: Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins
Autoren: Michaela Seul
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reagiert nicht. Das passiert jetzt öfter. Wenn sie sich aufs Schnuppern konzentriert, sind die Ohren zu. Oder weiß sie, dass ich einen Artikel gelesen habe, in dem erklärt wurde, warum der ältere Hund nicht mehr multitaskingfähig sei? Er könnte entweder schnuppern oder hören. Luna sieht und hört noch gut, das testen wir regelmäßig, aber sie ist langsamer geworden. Sie schnuppert viel mehr als früher, es könnte natürlich sein, dass sie tiefer einsteigt in die Materie, Geschmacksnuancen wahrnimmt, die ihr früher entgangen wären. Auch ein Sommelier reift mit der Zeit. Im Alter urteilt man hoffentlich nicht mehr so schnell wie in der Jugend, wo man mit Vorurteilen rasch zur Hand ist und andere geschwind in Schubladen steckt.
    Wenn sie müde ist, sieht Luna richtig alt aus. Doch kaum nimmt man einen Ball, einen Stock, die Frisbee in die Hand, strafft sie sich und verjüngt sich um ein ganzes Jahrzehnt. Frau Hölzel hat es ja verboten, aber Luna braucht das Spielen als Lebenselixier. Wir bringen es nicht übers Herz, es ganz einzustellen, wo wir doch schon fast nicht mehr werfen im Gegensatz zu früher, als wir erst an der natürlichen Grenze der Schleimbeutelentzündung stoppten.
    »Wir müssen gut auf sie aufpassen«, sage ich zu Johannes. »Wir müssen herausfinden, was wir ihr zumuten können. Luna zeigt uns das nicht. Die rennt, bis sie umfällt.«
    »Vielleicht zeigt sie es uns doch«, meint er. »Wir müssen ihre Zeichen nur besser lesen.«
    »Vielleicht muss ich selbst ihr andere Zeichen senden, damit sie ein anderes Echo schickt«, denke ich laut.
    Ausnahmsweise versteht Johannes mich nicht. Ich erkläre es ihm. »Ich habe bestimmte Erwartungen an Luna. Wenn sie sich benimmt wie ein junger, gesunder Hund, dann freue ich mich. Ich freue mich, wenn sie aktiv und fit ist. Das merkt sie. Also wird sie mir das zeigen, auch wenn sie es nicht ist, weil sie immer versucht, meine Erwartungen zu erfüllen.«
    »Aber ist das im Tierreich nicht normal?«, fragt Johannes. »Dass Tiere so lange wie möglich vorgeben, gesund zu sein, damit die Artgenossen sie nicht fressen oder ausstoßen?«
    Betroffen gestehe ich mir ein, dass ich einen unkomplizierten Hund bevorzuge. Ich will einen, mit dem ich morgens joggen kann, der sich mühelos in meinen Tagesablauf einfügt. Er soll fit sein und … funktionieren. Bedrückt denke ich an die Nachbarin in meinem ehemaligen Dorf, die ihren todkranken Spitz monatelang täglich dreimal in den Garten trug, damit er sein Geschäft verrichtete. Der Hund konnte kaum stehen, kippte immer wieder um. Die Frau konnte sich nicht von ihm trennen, und er hielt durch, mehr tot als lebendig, treu noch als halber Leichnam.
    Johannes zieht mich an sich. »Wir nehmen sehr wohl Rück sicht auf Luna«, sagt er zu mir, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Denk mal an die Radtouren.«
    »Ja, du nimmst Rücksicht«, schränke ich ein. Johannes fährt die Sänfte, einen Kinderfahrradanhänger, in dem Luna seit vier Jahren durch die Gegend kutschiert wird. Als wir in unser Haus umzogen, war uns klar, dass wir mehr von der neuen Gegend erkunden wollten als nur den Zehn-Kilometer- Umkreis, was zwanzig Kilometer zu laufen für Luna bedeutet hätte. Nun machen wir zwanzig, dreißig Kilometer lange Radtouren, und Luna kann sich immer wieder ausruhen in ihrer Sänfte. Ich radle hinter Johannes, um Luna im Blick zu haben. Die hält ihre Nase in den Wind und genießt die Ausflüge. Nichts bringt sie aus der Ruhe, keine Harley-Davidson Traube, kein Traktor, egal, wie dicht sie an uns vorbeifahren. Die Menschen, die uns von Weitem registrieren, vermuten ein Kind im Schlepptau, dann erkennen sie den Hund im Anhänger und reagieren überrascht. Viele reißen die Augen auf. Die meisten lachen. »Schau mal!«, machen sie andere auf Luna in ihrer Sänfte aufmerksam. Und natürlich gibt es welche, die glauben, Johannes und ich seien komplett bescheuert. Einen Hund durch die Gegend kutschieren. Wo gibt es denn so was! Hin und wieder hat uns jemand einen Vogel gezeigt. Da habe ich dann schon mal gerufen: »Der Hund ist alt!« Aber meistens sind die Leute gutmütig. Und manche meinen: »Ach, mit dem würd ich gerne tauschen.«
    Johannes muss sehr schwer treten, bergauf lässt er Luna meistens aussteigen, aber manchmal absolviert er ein Extratraining und lässt sie sogar bei dem steilen Berg vor unserem Dorf im Anhänger sitzen. Den rast er auch mit knapp sechzig Stundenkilometern hinab. Lunas Ohren stehen waagerecht
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