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Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins

Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins

Titel: Luna, Seelengefährtin - mein Hund, das Leben und der Sinn des Seins
Autoren: Michaela Seul
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wo. Vielleicht auch nicht. Sicher ist nur eins: Ich bin die Große, und ich muss mich jetzt zusammenreißen, damit alles ist wie immer und wir einen schönen Abschied hinkriegen. Von dem sie am besten nichts merkt. Wenn es ein Milztumor sein sollte, platzt er möglicherweise beim Spielen, und dann geht es ganz schnell. Inneres Verbluten, keine Schmerzen, versicherte mir die Tierärztin. »Rufen Sie mich jederzeit an, dann schläfere ich sie ein.«
    Tock, tock, klopft es aus ihrem Korb, die Rute auf dem Boden. Wie so manches Mal fühle ich mich ertappt. Als hätte sie meine Gedanken gelesen. Einem Hund macht man nichts vor. Ich kenne die Koordinaten, Algorithmen, morphogenen Felder nicht, auf die sie sich bezieht. Ist es mein Geruch? Die Dynamik meiner Bewegungen? Immer weiß sie mehr als ich, und indem ich sie beobachte, erfahre ich, wie es mir geht – und ihr, da sie darauf reagiert. Mein schwarzer Hundling, wie der Wildfang in Bayern genannt wird, ist der Spiegel meiner Seele, sehr viel Es und angeblich kein Ich, darüber thront die Chefin, die nun über sich hinauswachsen muss.
    Letzte Woche am See, als ich dachte, wir wären nach dem Schlangenbiss über den Berg, schwammen wir mindestens eine halbe Stunde lang, mein Seehund und ich. Vom Ufer aus beobachtete uns ein älterer Mann. Oft schon habe ich diese ganz besonderen Blicke gespürt, wie der Lichtstrahl eines Pro jektors, und statt Staub tanzen dort die Erlebnisse mit einem verstorbenen Hund. Manchmal hat auch jemand zu mir gesagt: »Ihr Hund erinnert mich an meinen Jockel.« So etwas wollte ich nie hören, es kam mir vor wie ein schlechtes Omen.
    Der alte Mann hatte auch einen Hund gehabt, der zwar schon lange tot war, doch unvergessen. Ich konnte ihn wedeln sehen in seinem Blick.
    »Warum halten Sie jetzt keinen Hund mehr?«, fragte ich ihn.
    »Ich bin zu alt«, erwiderte er.
    Diese Antwort hatte ich schon einige Male gehört und mir immer gedacht, dass man doch auch einen älteren Hund aus dem Tierheim zu sich nehmen kann, wenn einem ein Welpe zu anstrengend ist.
    »Wissen Sie«, fuhr der Mann fort, »wenn man älter ist, wird die Haut dünner. Nicht bloß die im Gesicht und am restlichen Körper. Auch die Seelenhaut wird dünner. Ich habe so viel erlebt, das wehgetan hat. Gute Freunde sind gestorben, andere haben schwere Schicksalsschläge erlitten, und auch ich selbst musste einiges verdauen. Da ist keine Kraft mehr, sich noch einmal von etwas zu verabschieden, das man so tief ins Herz geschlossen hat, wie man es eben nur bei einem Hund tut.«
    Mit Mitte dreißig habe ich meinen damaligen Mann verloren und eine Gnadenfrist erhalten, denn mein Atem, den ich in seine Lungen blies, als er plötzlich wie tot auf der Straße lag, hielt ihn noch sechzehn Stunden auf der Intensivstation am Leben, er erlangte das Bewusstsein nie mehr. Für mich waren diese sechzehn Stunden sein größtes Geschenk. Ich konnte beginnen, das Undenkbare, das Unvorstellbare wie eine in der Ferne schwebende Prophezeiung zu einem neuen Kapitel meines Lebens zu erkennen, um es in den folgenden Tagen und Wochen und Monaten zu begreifen und zu akzeptieren. Seither weiß ich, dass der Abschied von einem sterbenden Menschen die Richtung weist, wohin die Trauer wandern wird. Es ist leichter, vor dem Abschied wegzulaufen. Doch er holt einen immer wieder ein. Und dann dauert er länger, viel länger, wenn er überhaupt gelingt.
    Was ich in Worte fassen kann, macht mir keine Angst. Und was ich in Worte gefasst habe, das wabert nicht mehr zerstörerisch in meinen Gefühlen herum: Auch das Leben eines Hundes ist endlich. Sodass ich jetzt aufstehen kann und Luna zum Spazierengehen auffordere. Sobald ich den Stuhl zurückschiebe, wird sie ohnehin hochspringen und sich schütteln. Endlich hört sie auf, auf dem Tisch herumzuhacken, und wir gehen raus. Ja, Luna, das machen wir. Und ich bin die Große und benehme mich, als wäre heute vorgestern, und du bist fit wie vier Turnschuhe für dein Alter. Denn das, was in dir lauert, macht dir keine Probleme, sondern allein mir. Drei Zentimeter Unheil. Solange das nicht wächst, ist alles gut. Vielleicht bewegt es sich nicht, obwohl die Tierärztin mich darauf vorbereitete, dass bei einem Milztumor die Lebens erwartung äußerst kurz sei. Aber vielleicht ist es ja gar keiner, mutmaßte die Tierhomöopathin. Ärzte irren sich. Das Ding muss kein Tumor, kann auch ein Überbleibsel des Schlangenbisses sein.
    Seltsamerweise habe ich das Gefühl, ich müsste mich
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