Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lumpenloretta

Lumpenloretta

Titel: Lumpenloretta
Autoren: Christine Nöstlinger
Vom Netzwerk:
Stück Straße, das zu sehen gewesen ist, hätte der dicke Hintern vom Teddybär-Bus sein müssen. Ist er aber nicht gewesen! Zwei Kisten sind dort gestanden und zwei alte Sessel und ein schmaler Kasten und ein Henkelkorb und ein großer Spiegel in einem Goldrahmen.
    Glatzes Herzklopfen hat sich gelegt, frustriert hat er ins Haus zurückgehen wollen. Doch da hat die Loretta zum Küchenfenster vom 19er-Haus rausgeschaut und gerufen: „Komm zu mir rüber! Ich muss im Haus bleiben, weil ich auf den Mann vom E-Werk warten muss!“
    Also ist Glatze, so elegant wie er das vorher nie geschafft hätte, über die Ribiseln zum Küchenfenster vom 19er-Haus hin, und das Herzklopfen hat wieder angefangen.
    „Wie heißt du denn eigentlich?“, hat die Loretta gefragt.
    „Konrad“, hat Glatze gesagt. „Aber für meine Freunde Glatze!“
    Die Loretta hat gemeint, dass ihr Konrad zwar besser gefällt, aber wenn ihm das lieber ist, wird sie ihn auch Glatze nennen. Und dann hat sie gesagt, dass sie nicht in den Garten raus kann. Sonst verpasst sie den Mann vom E-Werk, weil sie ihn nicht an der Haustür klopfen hört. Eine Türklingel ohne Strom klingelt leider nicht. Glatze ist über das Fensterbrett in die Küche geturnt und hinter der Loretta her ins ehemalige Wohnzimmer der Berger. Dort sind alle Kartons und Schachteln gestanden, die gestern den Gehsteig verstellt hatten. Und die Hälfte von dem, was drin gewesen ist, war auf dem Fußboden verstreut. Die Loretta hat zuerst auf den vermischten Bodenbelag gedeutet und dann auf einen riesigen Ghetto-Blaster und gesagt, dass sie für den Batterien gesucht, aber keine gefunden hat.
    „So eine Scheiße!“, hat sie gesagt. „Dabei weiß ich genau, dass wir noch welche haben müssen!“
    Glatze hat sich auf einen Bananen-Karton voll Bettwäsche gesetzt. „Wenn der Mann vom E-Werk kommt, geht er ja dann auch wieder mit Strom“, hat er gesagt. Und die Loretta hat sich ihm gegenüber auf eine Kiste gesetzt und gesagt, dass ihre Eltern – sie hat „meine Oldies“ gesagt – mit ihrem Baby-Bruder ins Waldviertel gefahren sind. Bei einer Familie liefern sie ihn ab. In Pflege.
    „Warum?“, hat Glatze gefragt.
    Die Loretta hat ihm erklärt, dass ihre Eltern mit dem Teddybär-Bus auf Jahrmärkte und Kirtage und Flohmärkte fahren und dort einen Stand aufbauen und Altwaren verkaufen. Da können sie den Hank nicht dabeihaben. Und dann hat sie gesagt: „Und ich muss ja schließlich auch endlich wieder in die Schule gehen.“ Dieses „endlich wieder“ ist schon irgendwie sehr seltsam gewesen, aber Glatze ist eben keiner, der gleich nachbohrt, wenn er sich über etwas wundert. Außerdem ist er gerade dabei gewesen, zu überlegen, wie alt die Loretta sein könnte. So alt wie er? Oder älter? Oder jünger? Er hat gehofft, dass sie so alt wie er ist und in seine Klasse kommen wird. Dass sie ins Gymnasium auf dem Oberhuberplatz gehen wird, hat er angenommen. Es gibt ja sonst weit und breit kein anderes.
    „In welche Klasse kommst du?“, hat er gefragt.
    Die Loretta hat sich mit dem Daumen das Ende einer dünnen Haarsträhne in den Mund gestopft und an der herumgekaut.
    „Ich komme in die dritte Klasse“, hat Glatze gesagt. Die Loretta hat weiter an der Haarsträhne gekaut und geschwiegen.
    Glatze ist der Verdacht gekommen, dass sie sitzen geblieben ist und sich geniert, das zuzugeben.
    Doch dann hat die Loretta die Haarsträhne ausgespuckt und ihn gefragt: „Kannst du dichthalten?“
    Glatze hat grinsend gesagt: „Sowieso. Dichthalten ist angeblich meine Spezialität!“
    „Schwöre!“, hat die Loretta verlangt.
    Glatze hat die rechte Hand gehoben und Zeigefinger und Mittelfinger hochgestreckt.
    „Auf Vater, Mutter, Kind, tot, blind!“, hat die Loretta gefordert.
    „Vater, Mutter, Kind, tot, blind“, hat Glatze gemurmelt. Laut hat er den kindischen Spruch nicht rausposaunen wollen, doch die Loretta ist auch mit dem Gemurmel zufrieden gewesen. Und dann hat sie ihm erzählt, dass sie eigentlich in die dritte Klasse Hauptschule kommen sollte. Aber weil sie im vergangenen Schuljahr gar nicht in die Schule gegangen ist, und im Jahr davor auch nicht sehr oft, fehlen ihr die Zeugnisse von der ersten und der zweiten Klasse Hauptschule. Darum ist sie bis jetzt noch in keiner Schule angemeldet. Sie muss warten, bis das Zeugnis aus Italien kommt. Dort hat ihr Vater einen guten Freund, und der kennt einen Schuldirektor, der so nett ist, für sie ein falsches Zeugnis für die zweite Klasse
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher