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Luegenprinzessin

Luegenprinzessin

Titel: Luegenprinzessin
Autoren: Nora Miedler
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Mutter.«
    »Mhm«, machte ich mit vollem Mund und hatte unter dem festen, mutterlieben Griff Mühe, meine Cornflakes weiter zu kauen.
    Sie gab mir einen Abschiedskuss auf die Wange und verließ laut seufzend das Zimmer. Gleich darauf kam sie in High Heels wieder zurück. »Lass dich von Papa zum Bus bringen!«
    Ich nickte mampfend und hob zum Abschied noch einmal die Hand. Als ob wir das nicht längst besprochen hätten.
    Im Auto musterte ich meinen Vater von der Seite. Der graue Schimmer in seinem Dreitagebart ließ sich nun wirklich nicht mehr leugnen und die Fältchen um die Augen herum waren zu Kerben geworden. Richtig alt sah er aus. Das dachte ich öfter in letzter Zeit. Als ich klein war, waren meine Eltern für mich die schönsten Menschen der Welt gewesen. Meine Mutter war mir wie eine Prinzessin vorgekommen, mit dem langen blonden Haar und ihrer weißen Haut. Auch mein Vater hatte langes Haar, seit ich denken konnte. Schwarze dichte Locken, die er meistens zu einem Zopf gebunden hatte. Ich wandte den Blick nach vorne und hob mitleidig die Augenbrauen. Bei Männern mit Kerben um die Augen verliert ein Zopf jede Coolness. Er sah aus wie ein Möchtegern-Althippie. Oder wie dieser alte Schauspieler aus den komischen Filmen, die Dianas Vater sich immer reinzog, Steven Seagal.
    Und meine Mutter sollte endlich aufhören, kurze Röcke zu tragen. Orangenhaut ist ja was Normales, aber man muss sie doch nicht der ganzen Welt präsentieren, oder? Doch ich hütete mich davor, auch nur irgendeinen Kommentar in der Richtung abzulassen, denn meine Mutter war in den letzten Monaten sowieso ständig auf hundert­achtzig. Midlife-Crisis. Garantiert. Soll ja nicht nur bei Männern vorkommen, wie ich zumindest neulich in einer Frauenzeitschrift beim Friseur gelesen hatte. Deshalb auch ständig ihre kurzen Röcke. Typisches Symptom. Dabei müsste mein Vater ihr nur hie und da sagen, wie attraktiv er sie fand. Nachdem er das aber nicht machte, musste sie sich die Bestätigung mithilfe der kurzen Röcke von anderen Männern holen. Was aber nicht klappte. Wegen der Orangenhaut.
    Als wir vor der Schule ankamen, standen schon kleine Grüppchen von Schülern beisammen. Meine Leute hockten auf der Mauer und winkten mir zu.
    Mein Vater winkte zurück.
    »Papa…«, knurrte ich.
    »Was denn?« Er schulterte meinen Rucksack und ging auf die Mauer zu.
    »Was machst du da?«, rief ich.
    »Na, ich helfe dir tragen. Dazu hast du doch deinen großen, starken Papa mitgenommen.« Mittlerweile war er bei meinen Freunden angekommen und zwinkerte ihnen euphorisch zu. Es sah aus, als hätte er einen nervösen Tick. Oder ein paar Mücken in den Augen. »Papa, bitte, der Rucksack muss in den Bus.«
    »Lass mich doch deine Freunde begrüßen, Mia. Oder habt ihr was dagegen? Ich bin mir sicher, ihr behandelt eure Eltern nicht so stiefmütterlich wie mein Augäpfelchen hier.«
    Aufs Stichwort verdrehte ich die Augäpfelchen, während Diana, Vero, Felix und Chris die Begrüßung über sich ergehen ließen und brav murmelten: »Tag, Johannes, schön, dich zu sehen.«
    Mein Vater war ja sooo cool. Niemand aus meinem Freundeskreis durfte ihn siezen oder gar mit dem Nachnamen ansprechen.
    »Hat Mia euch erzählt, dass ich jetzt einen Verlag für mein Buch habe?«, wollte er jetzt wissen.
    Zustimmendes Gemurmel. Vero brachte es sogar fertig, Interesse zu heucheln. Ach ja, das hatte ich ganz vergessen. Mein Vater steckte natürlich auch mitten in der Midlife-Crisis, nur dass er im Gegensatz zu meiner Mutter weniger auf die Bestätigung aus seiner Generation versessen war, sondern eher auf die aus meiner. Ich stellte mich hinter ihn und schnitt Gesichter. Felix und Diana grinsten. Mein Vater nahm das als Ausdruck ihrer Freude über seinen Erfolg und taute gleich noch mehr auf. »Und hat sie euch auch erzählt, welcher Autor noch bei diesem Verlag –«
    »So, auf, auf, los geht’s! Keine Müdigkeit vorschützen!«, rief in dem Moment Bieninger zum Aufbruch. Ausnahmsweise mal gutes Timing. Danke, Mr Bean!
    »Tschüss, Papa!« Ich drückte ihm sogar ein Bussi auf die Wange, damit er sich nicht wieder über zu wenig Zuneigung beklagte.
    »Der Verlag ist wirklich ganz großartig! Kein Zuschussverlag oder so was. Ein echter Verlag!« Das waren die letzten Worte, die ich vor der Reise von meinem Vater hören sollte.
    Vor der Reise, die ein wahrer Albtraum werden sollte.

2
    Ich hatte Glück, dass die Quak-Mädels als Erstes im Bus waren und gleich die ganze letzte
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