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Luegenprinzessin

Luegenprinzessin

Titel: Luegenprinzessin
Autoren: Nora Miedler
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zwanzig.
    »Klar«, murmelte ich und hoffte, dass es nicht beleidigt klang. Ich nahm ihm das Zettelchen ab und reichte es unter der Bank an die Neue weiter.
    »Mia!«
    Ich zuckte heftig zusammen, auf Mr Beans Gesicht machte sich ein sadistisches Lächeln breit. Er genoss sichtlich jedes Wort, als er in seinem enervierend bemühten British English sagte: »Could you please give us a short summary of the listening comprehension we’ve just heard?«
    Ich starrte Herrn Bieninger, der bei uns allen nur Mr ­Bean hieß, an. »Äh, what please?«
    Die Klasse lachte. Mr Bean nicht.
    Als Strafe für unerlaubtes Briefchenzuschieben und fehlende Aufmerksamkeit in der Schulstunde wurde ich dazu verdonnert, ein Referat über Tirol vorzubereiten, wohin wir morgen früh aufbrechen würden – Projekttage in den Bergen, Abenteuercamp nannte sich das Ganze. Mr Bean war nämlich nicht nur unser Englisch-, sondern auch unser Erdkundelehrer und begeisterter Naturliebhaber. Das Referat sollte ich dann in Tirol und auf Englisch vortragen, natürlich.
    Na echt wonderful!
    Als ich nach der Stunde meine Sachen zusammenpackte, berührte Joe mich kurz am Ellbogen. »Sorry, okay?«
    David, der an ihre Seite trat und anscheinend auf sie wartete, warf ihr einen erstaunten Blick zu. Dann sah er mich an und sagte: »Ach so, ja. Tut mir auch leid.«
    Sofort spürte ich, dass ich wieder rot anlief. Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach, das macht doch nichts. Ich bin echt nicht nachtragend.«
    Doch er hörte mir gar nicht mehr zu. Lachend legte er Joe den Arm um die Schultern und dampfte mit ihr ab.
    »Was war denn los?«
    Ich drehte mich um. Der weibliche Teil meiner Clique stand hinter mir. Ich schüttelte den Kopf. »Wenn ich nicht bald von der Neuen wegkomme, flippe ich noch aus.«
    »Kann ich verstehen«, nickte Diana und strich sich mit der Hand über ihre blonden Igelstacheln – ein Tick von ihr, seit sie kurze Haare hatte. »Hält jedem ihre Eiskugeln unter die Nase und blökt wie ein Schaf.«
    »Wieso Eiskugeln?«, fragte Vero.
    Diana grinste. »Das erklären wir dir, wenn du so alt bist wie wir.«
    Was besonders fies war, denn Vero war die Älteste von uns dreien.
    »Höre ich Eiskugeln?« Felix kam lässig auf uns zu, mit seinem typisch wiegenden Gang und einem breiten Grinsen im Gesicht. »Auf zu Capone’s, würde ich sagen.«
    Die anderen stimmten begeistert zu, auch Chris, der sich als Letzter an meinen Platz gesellte. »Wusstet ihr, dass Carboxymethylcellulose ursprünglich als Tapetenkleister verwendet wurde?« Es war eine rein rhetorische Frage, denn natürlich war ihm klar, dass wir das nicht wussten. Dass wir nicht mal wussten, was dieses Caroxymycelldingsda überhaupt war beziehungsweise was es mit Speiseeis zu tun hatte.
    »Ich kann leider nicht mitkommen«, hörte ich mich selbst murmeln.
    »Schon wieder nicht?« Diana klang misstrauisch. »Bist du jetzt neuerdings magersüchtig oder so? Oder ist dir Eis essen gehen mit deinen Freunden zu kindisch geworden?«, schob sie lauernd hinterher.
    In letzter Zeit wurde es immer schlimmer mit ihr. Jede Kleinigkeit ließ sie in die Luft gehen. Doch irgendwie hatte ich das dumpfe Gefühl, dass wir uns derzeit alle nicht zum Besten veränderten. Es war vielmehr so, als würden sich unsere hervorstechendsten Charaktereigenschaften zur Potenz verstärken. Vero hatte ihre Naivität perfektioniert, konnte Äuglein und Schnäbelchen aufreißen wie das entzückendste Disney-Tierchen, sodass alle in ihrer Nähe das Bedürfnis hatten, den Arm um sie zu legen und sie zu beschützen. Außer Diana natürlich, die sich von unserer dominanten aber auch toleranten Anführerin in eine jähzornige Emanze verwandelt hatte und anscheinend den Anspruch für sich erhob, als größtes und gröbstes weibliches Raubein in die Geschichte einzugehen. Und Felix war jetzt noch kindischer als bei unserem Kennenlernen vor knapp sechs Jahren, obwohl er von Beginn an die Rolle des Klassenclowns für sich beansprucht hatte, während Chris sich nur noch hinter seinem altklugen Professorengehabe verschanzte und man kein Wort mehr aus ihm herausbekam, das nicht wissenschaftlich fundiert war.
    Und über mich selbst könnte ich noch weit schlimmere Sachen sagen.
    Zum Beispiel, dass ich eine Lügnerin war.
    Wie es dazu gekommen war, wusste ich selbst nicht mehr. Ganz klein hatte es angefangen, mit harmlosen Schwindeleien wie »Die Hausaufgabe hab ich zu Hause liegen lassen«. Doch wie oft konnte man das schon als
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