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Lucy's Song

Lucy's Song

Titel: Lucy's Song
Autoren: Bjorn Ingvaldsen
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Innenspur machte. Sie fuhren stur weiter. Endlich gab es eine Lücke vor dem nächsten Auto. Ich trat schnell an, um auf die Straße zum Krankenhaus zu kommen. Aber ich hatte die Geschwindigkeit des Wagens hinter mir wohl etwas falsch berechnet oder ich kam nicht schnell genug in Fahrt. Jedenfalls musste das Auto heftig bremsen, es hupte hinter mir. Ich stellte einen Fuß auf die Straße und starrte den Wagen an. Das war sie. Die Frau im roten Cabrio. Das Verdeck war heruntergelassen und ihre Haare flatterten im Wind.
    »Äh, ich habe heute Nacht von Ihnen geträumt«, sagte ich und hörte selbst, wie dumm das klang. Deshalb fügte ich hinzu: »Sie sind gestorben. Bei einem Unfall.«
    Die Frau starrte mich an, als wäre ich der größte Volltrottel auf der Welt. Und wahrscheinlich war ich das auch. Ich rettete mich auf die andere Straßenseite und fuhr weiter, ohne mich umzudrehen. Aber ich konnte ihre Augen noch eine ganze Weile in meinem Nacken spüren.
    Mama war auf, als ich ins Krankenhaus kam. Ich traf sie, während sie langsam über den Flur ging. Sie stützte sich auf das Stativ, andem die Flasche mit dem Tropf hing. Der Schlauch war an ihrem Arm befestigt.
    »Musst du die Flasche noch lange haben?«, fragte ich.
    »Ich hoffe nicht«, antwortete sie. »Aber solange ich noch nicht richtig essen kann, brauche ich sie. Um Nährstoffe zu kriegen.«
    »Und wie machst du das, wenn du dich anziehen willst?«
    »Dann wird der Schlauch einfach abgeklemmt.«
    Wir gingen zusammen hinunter zur Rezeption. Mama wollte sich saure Drops kaufen.
    »Mein Mund ist immer so trocken«, sagte sie.
    Ich kaufte mir ein Eis. Wir gingen vor den Krankenhauseingang und setzten uns auf eine Bank. Eine Gruppe Raucher stand am Eingang zum Parkhaus. Es war nicht erlaubt, näher am Krankenhaus zu rauchen.
    »Weißt du«, sagte Mama und schob ihre Mütze auf dem Kopf zurecht. »Heute Nachmittag kommt eine Frau, die mir helfen soll, eine Perücke auszusuchen. Es wird schön sein, wieder Haare zu haben.«
    Ich schaute sie an.
    »Aber … werden denn nicht … wachsen denn deine eigenen Haare nicht wieder? Wenn du fertig bist mit der Therapie?«
    »Doch, bestimmt. Aber es kann eine Weile dauern, bis sie so weit gewachsen sind, dass ich mich wieder mit ihnen zeigen mag. Es ist eklig, sage ich dir, wenn ich merke, dass die Leute mich komisch angucken und genau sehen, dass ich krank bin. Dann fühle ich mich gleich doppelt so krank.«
    »Was für Haare sind das denn? Wenn du eine Perücke kriegst, meine ich.«
    »Die sollen meinen eigenen Haaren möglichst ähnlich sein. So, wie sie früher waren.«
    »Du könntest ja lange Haare nehmen. Solche, die im Wind wehen.«
    »Damit ich aussehe wie ein junges Mädchen? Ich glaube nicht, dass mir das gefallen würde.«
    »Warum nicht?«
    »Das ist irgendwie nicht mein Stil. Und ich glaube nicht, dass so etwas bei mir so elegant aussehen würde wie in den Shampooreklamen im Fernsehen. Künstliche Haare, die im Wind wehen, sind nicht so hübsch.«
    Ich erzählte ihr, dass ich die Frau in dem roten Cabrio wiedergesehen hatte.
    »Das ist ein Porsche«, sagte ich.
    »Es hört sich so an, als könnte die gute Frau es sich leisten«, meinte Mama.
    »Stell dir vor, wir hätten so ein rotes Cabrio. Wäre das nicht toll? Dann könnten deine langen Haare im Wind flattern, wenn wir fahren.«
    Mama musste laut lachen. Fast so, wie sie früher gelacht hatte.
    »Ja, das wäre was. Für uns müsste es wohl ein Ferrari sein, denke ich. Aber stell dir vor, wie dumm es wäre, wenn die Perücke mit dem langen Haar dann davonwehen würde.«
    »Es wäre trotzdem lustig«, sagte ich.
    »Weißt du«, sagte Mama, »als ich deinen Vater getroffen habe, da hatte er einen Citroën 2C V. Bei dem konnte man auch das Dach öffnen.«
    »War das ein Cabrio?«
    »Nein, ganz und gar nicht, das war eine richtige Klapperkiste. Und das Dach war nicht einmal dicht, es hat da ständig reingeregnet.«
    »Hat er den Wagen immer noch?«
    »Nein, sicher nicht. Das ist ja schon so lange her.«
    Die Tante kam mit Lucy. Mama wollte sie in den Arm nehmen, aber Lucy verkroch sich so sehr in ihrem Rollstuhl, dass es unmöglich war.
    »Sie kriegt immer Angst hier im Krankenhaus«, sagte Mama. »All die fremden Geräusche und Gerüche.«
    »Wir bleiben auch nicht lange«, sagte die Tante.
    Mama und Tante unterhielten sich eine Weile. Die Tante trank Kaffee. Ich holte ein paar Kuchenstücke vom Flur. Mama wollte nichts und Tante erklärte, sie hätte gerade
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