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Lucy's Song

Lucy's Song

Titel: Lucy's Song
Autoren: Bjorn Ingvaldsen
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der Rezeption saß ein anderer Mann als sonst. Das war sicher der Nachtdienst. Ich ging vorbei, ohne etwas zu sagen. Er schaute auch gar nicht von seiner Zeitung auf.
    Draußen war es fast still. Es dauerte noch lange, bis die Geschäfte öffneten, die wenigen Autos in der Straße standen am Rand geparkt. Ich ging auf die andere Straßenseite und weiter in die Richtung, in der die Tante und ich zur Kathedrale Notre Dame gelaufen waren. Mehrere Male wartete ich bei den Ampeln nicht erst auf grünes Licht, es kamen ja doch keine Autos. Einmal kam ein großer Tankwagen langsam herangefahren, er wusch die Straße mit einem kräftigen Wasserstrahl. Ich musste zur Seite springen, um nicht nass zu werden. Ein Polizeiwagen verlangsamte seine Fahrt, und beide Polizisten starrten mich an, sie fragten sich wohl, was so jemand wie ich so früh schon draußen zu suchen hatte. An der Seine sah ich mehrere Jogger, dieihre frühen Runden drehten. An einer Stelle hatten sich Obdachlose am Eingang zu einem Geschäft zusammengekauert.
    Ich ging auf eine Brücke und schaute von dort ins Wasser hinunter. Unten an den Brückenpfeilern hatte sich einiges an Müll gesammelt, Plastiktüten und so. Ein Stück weiter oben kam ein Pappkarton herangeschwommen. Zwei Sightseeingboote lagen gleich unter mir vertäut. Vielleicht könnte ich vorschlagen, dass wir heute eine Bootsfahrt auf der Seine machten?
    Ein Vogel schrie direkt hinter mir. Eine Krähe, nehme ich an. Ich drehte ein wenig den Kopf. Da sah ich, wie etwas Rotes auf der anderen Seite der Brücke vorbeifuhr. Ich drehte mich ganz um und konnte gerade noch das Ende eines roten Cabrios sehen. Die blonden Haare der Frau, die das Auto fuhr, wehte im Wind. Die Frau aus dem Krankenhaus! Das war sie. Sie war hier!
    Ich rief ihr laut nach und rannte direkt auf die Fahrbahn. Ein Auto kam mir entgegen und hupte. Ich lief einfach weiter. Auf die andere Seite der Brücke, so schnell ich nur konnte. Das Auto hielt an einer Ampel, mehrere hundert Meter von mir entfernt. Ich wedelte mit den Armen und schrie. Sie bekam grünes Licht und fuhr weiter bis zur nächsten Ampel. Ich schrie noch lauter und rannte hinter ihr her. Jetzt konnte ich sehen, dass die Frau sich umdrehte, um zu sehen, wer da so schrie. Dann wurde es wieder Grün und der Wagen bog ab. Ich lief weiter, über rote Ampeln, lief zwischen den wenigen Autos hindurch, die unterwegs waren. Bis zu der Ecke, hinter der das Auto verschwunden war. Da stand es!
    Ich prallte fast auf den Kofferraum des Autos und ließ mich fallen. Mein Atmen war nur noch ein stoßweises Keuchen, mir war fast schwarz vor Augen.
    »Ich …«, stöhnte ich.
    Die Frau im Auto sagte etwas. Ich schaute auf. Das war gar nicht sie. Nicht die Frau vom Krankenhaus. Diese hier hatte aber genauso lange, blonde Haare und das Cabrio war rot. Sie sagte wieder etwas.
    »Sorry«, sagte ich und erklärte auf Englisch, dass ich sie mit jemand anderem verwechselt hatte. Mit einer Frau, die ihr ähnlich war. Einer mit ebenso blonden Haaren.
    »Na, es gibt wohl noch andere mit rotem Auto und blonden Haaren hier in Paris«, meinte sie lächelnd.
    »Die andere wohnt nicht in Paris, sie wohnt in Norwegen.«
    Da musste sie lachen.
    »Dann ist die Chance ja nicht besonders groß, sie ausgerechnet hier zu finden. Ist das eine gute Freundin von dir, die blonde, norwegische Frau?«
    »Nein, ich kenne sie nicht. Habe sie nur zweimal gesehen.«
    »Und du warst von ihr so beeindruckt, dass du geglaubt hast, sie in einem anderen Land wiederzusehen? Klingt ja spannend.«
    Da erzählte ich ihr von Mama und dem Cabrio. Dem Traum. Von Lucy und dem Song.
    »Steht in dem Lied, dass es ein Ferrari sein muss?«, fragte sie.
    »Nein, nur ein Cabrio.«
    »Mein Auto ist ein Fiat. Ein ziemlich normaler Fiat. Aber zumindest ist es ein offener Sportwagen. Nicht so teuer und schnell wie ein Ferrari, aber mir gefällt er. Was meinst du, wäre deine Mutter einverstanden mit einer Rundtour in diesem Wagen?«
    »Ja!«
    »Dann machen wir das. Aber nicht heute, jetzt nicht. Ich bin auf dem Weg zur Arbeit. Ich arbeite in einem Hotel. In der Rezeption.Und muss in zehn Minuten anfangen. Wollen wir uns für morgen früh verabreden? Bevor der Verkehr zu dicht wird?«
    Ich sagte ihr, in welchem Hotel wir wohnten. Sie wusste, wo das lag.
    »Also, morgen früh um acht Uhr«, sagte sie. »Dann bin ich da.«
    Ich blieb stehen und schaute ihr nach, als sie um die nächste Ecke verschwand. Ein roter Cabrio. Kein Ferrari, kein
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