Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lucian

Lucian

Titel: Lucian
Autoren: Isabel Abedi
Vom Netzwerk:
klebte ein Fleischkrümel.
    Sebastian grinste Suse an. Auch als wir noch ein Paar gewesen waren, hatten die zwei sich ständig Wortgefechte geliefert, aber im Grunde mochten sie sich.
    »Also.« Suse setzte sich gegenüber von mir an einen der hinteren Tische und leckte sich einen Spritzer Ketchup von den Fingern. »Jetzt erzähl schon, was ist passiert?«
    An der Wand tickte eine Uhr. Das Gehäuse hatte die Form eines Burgers, der Sekundenzeiger war eine Pommes. Ich folgte ihm mit den Augen, zur Drei, zur Sechs, zur Neun . . .
    »Wenn du nicht in zwei Sekunden den Mund aufmachst, fang ich an zu schreien!«, drohte Suse und zog eine Gurkenscheibe aus ihrem Chickenburger.
    Ich tunkte meine Pommes in den Ketchup und begann zu erzählen, was mir letzte Nacht passiert war. Als ich fertig war, lag mein Chickenburger noch unberührt auf meinem Teller. Er war kalt geworden und sah so eklig aus, dass mir bei seinem Anblick übel wurde.
    »Da unten an der Laterne hat er gestanden? Er hat direkt in dein Zimmer gestarrt? Und du bist sicher, dass es nicht Sebastian war?«
    Suse hockte auf meiner Fensterbank und sah hinüber auf die andere Straßenseite. Sebastian saß jetzt mit den anderen im Biounterricht, wo Frau Donner, eine winzige Lehrerin mit Hamsterbacken und grauem Dutt, sich vermutlich gerade ihrem Lieblingsthema Legale und illegale Drogen widmete.
    Suse hatte mich überredet, die letzten Stunden zu schwänzen. Gerade hatte sie mit verstellter Stimme im Sekretariat angerufen, um uns zu entschuldigen.
    »Todsicher«, hörte ich mich sagen.
    »Becky, das ist so gruselig. Wer steht denn nachts vor fremden Fenstern und beobachtet die Bewohner?« Suse schauderte.
    Meinen Albtraum hatte sie kurzerhand als Folge einer Überdosis Apfelstrudel in den Wind geschossen, aber der fremde Laternenmensch brachte ihre Fantasie auf volle Touren.
    »Vielleicht war es dieser Streichler, der neulich aus der Klapse entlaufen ist«, hauchte sie mit weit aufgerissenen Augen.
    »Der bitte wer?«
    »Na, du weißt schon«, sagte Suse und kaute aufgeregt auf einer ihrer Haarsträhnen herum. »Dieser Gestörte mit der pinkfarbenen Strumpfmaske, über den sie letzte Woche in der Mopo berichtet haben. Er steigt nachts bei alleinstehenden Frauen ein und setzt sich auf ihre Bettkante. Während sie schlafen, streichelt er ihnen über die Wange, und wenn sie verträumt ihre Augen aufschlagen, dann . . .«
    »Suse!«, kreischte ich entsetzt. »Kannst du bitte mit diesem Scheiß aufhören? Das lässt mich heute Nacht nicht wirklich ruhiger schlafen, hörst du?«
    Ich zerrte meine Freundin vom Fensterbrett weg. Es war merkwürdig, den ganzen Tag über hatte ich entweder an meinen Albtraum denken müssen oder an diese seltsame Gestalt vor meinem Fenster. Aber darüber zu reden, machte es nicht besser. Ganz im Gegenteilirgendwie kam es mir vor, als wäre es ein großer Fehler. Laut ausgesprochen wirkte das Ganze wie eine Verkettung von seltsamen Zufällen. Aber das war es nicht, nicht für mich – nicht mit diesem Gefühl in meiner Brust, dieser Leere, die ich ja nicht einmal mir selbst erklären konnte.
    »Erzähl doch mal lieber, wie war die Bandprobe gestern?«, fragte ich Suse.
    Meine Freundin ließ sich mit einem tiefen Seufzer in meinen Sitzsack fallen und das Thema der nächsten Stunde war Dimo Jamal, Leadsänger der Schulband Dr. No und die kranken Schwestern und Suses Traum schlafloser Nächte. Für meine Begriffe war Dimo ein ziemlich arrogantes Arschloch, aber das behielt ich wohlweislich für mich – Suse hätte eh nicht auf mich gehört.
    Vor drei Monaten hatte Dimo meine Freundin in den erlesenen Kreis der Back-Vocals aufgenommen. Seitdem nahm Suse Gesangsunterricht und spielte ernsthaft mit dem Gedanken, sich einer Schönheitsoperation zu unterziehen. Mir war es ein Rätsel, warum Menschen sich ausgerechnet an dem, wofür sie am wenigsten können, am stärksten messen ließen. Dabei hatte das Schicksal Suse mindestens ebenso reich bedacht wie Sebastian, als es um die Verteilung von gutem Aussehen ging.
    Optisch war Suse so ziemlich das Gegenteil von mir. Was nicht heißen soll, dass ich mich neben ihr wie ein hässliches Entlein fühlte, aber mit meinen runden Hüften, den stämmigen Beinen und dem großen Busen war ich wahrscheinlich der leibhaftige Albtraum aller Magersüchtigen. Und während ich wie mein Dad schwarzhaarig und braunäugig war, hatte Suse weißblonde – polange – Korkenzieherlocken, hellgrüne Augen und den Körper einer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher