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Lucian

Lucian

Titel: Lucian
Autoren: Isabel Abedi
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jedenfalls nicht aus. Gott, ist der abgewrackt.« Sie kicherte. »Aber irgendwie auch sexy. Wie ist der bloß hier reingekommen?«
    Ich wollte etwas sagen, aber die Worte blieben mir in der Kehle stecken.
    Er war schmal, fast dünn, aber auf eine katzenhafte Art und Weise. Seine tiefschwarzen Haare waren leicht zerzaust, seine Züge scharfkantig. Er trug einen schwarzen Pullover, der am linken Ellenbogen einen Riss hatte, und die zerschlissene Jeans saß knapp über den Hüften. Aber abgewrackt – das war das falsche Wort.
    Er sah fremd aus. Anders.
    Mein Blick glitt zurück zu seinem schmalen Gesicht. Noch immer schaute er mich unverwandt an. Ob seine Augen braun oder blau waren, konnte ich nicht ausmachen, aber die tiefen Schatten darunter sah man von hier aus. Er hatte hohe Wangenknochen und plötzlich schoss mir eine völlig blödsinnige Umfrage durch den Kopf, auf die Suse und ich neulich beim Surfen im Internet gestoßen waren: »Hey Girls, findet ihr hohe Wangenknochen bei Jungs sexy?«
    In diesem Fall, ja.
    Wobei es nicht sein Aussehen war. Oder doch – das war es auch, aber da war noch etwas anderes – eine seltsame, fast fiebrige Intensität, eine Unruhe, die er ausstrahlte, obwohl er sich nicht von der Stelle rührte. Bis eben war mir kalt gewesen vor Müdigkeit, jetzt wurde mir warm.
    Die beiden Mädels aus der Band sangen: Everything around you is lovelight, you’re shining like a star in the night, I won’t let you out of my sight . . . und der Fremde verzog die Mundwinkel zu einem ironischen Lächeln.
    »Hey, Kleine, ich hätte zu gerne noch eine Dattel im Speckmantel.«
    Ich zuckte zusammen. Der Glatzkopf stand wieder vor mir und versperrte mir die Sicht. Meine Kollegin war mittlerweile in der Menge untergetaucht. Der eklige Kerl grapschte sich die Dattel von meinem Tablett und ließ sie mit purer Absicht in meinen Ausschnitt fallen.
    »Hoppla. Das tut mir leid, kann ich Ihnen . . .«
    Der Glatzkopf wollte gerade die Wurstfinger ausstrecken, als er in der Bewegung erstarrte. Eine Hand hatte sich in seinen Nacken gekrallt. Sie gehörte zu dem fremden Jungen. Er stand dicht hinter dem Glatzkopf, die schwarzen Haare fielen in seine Stirn, sein Gesicht konnte ich nicht erkennen.
    »Lass das Mädchen in Ruhe oder dir passiert was.«
    Die Stimme des Jungen war leise, rau, fast heiser, als hätte er sie lange nicht benutzt. Und sie hatte einen gefährlichen Unterton.
    Der Glatzkopf schnappte nach Luft und diesmal ließ ich wirklich das Tablett fallen. Scheppernd fiel es zu Boden. Irgendein Gast, ein weiblicher, gab einen schrillen Laut von sich, Sekunden später war Sebastians Vater da.
    Plötzlich herrschte überall Tumult, und als ich meine Sinne wieder beisammenhatte, war der Fremde spurlos verschwunden.
    Die Band hatte einen neuen Song angestimmt, danach hielt der Geschäftsführer eine Ansprache. »Verehrte Gäste, es ist mir eine Ehre, Sie heute bei uns zu begrüßen, bla, bla, bla . . .«
    Irgendwie brachte ich den Abend hinter mich, und als ich um kurz nach zehn an die frische Luft kam, konnte ich mich vor Erschöpfung kaum noch auf den Beinen halten. In meiner Tasche steckte ein Hunderteuroschein von Sebastians Vater – als Wiedergutmachung für den kleinen Zwischenfall mit dem Glatzkopf, der natürlich nicht von der Eröffnungsfeier verwiesen worden war.
    »Taxi gefällig?« Eine Hand legte sich auf meine Schulter. Diesmal war ich es, die einen Schrei ausstieß. Neben mir stand Sebastian und strich sich grinsend das helle Haar aus der Stirn. Mein Schreck war immer noch größer als die Überraschung, meinen Exfreund hier zu sehen.
    »Du spinnst wohl, dich so anzuschleichen! Willst du mich umbringen?«
    Das Grinsen wurde noch breiter. »Im Gegenteil. Ich wurde zu deiner Rettung befohlen. Mein alter Herr hat mich vorhin angerufen. Er hat gesagt, ich soll dich nach Hause bringen, damit dich keine fremden Männer kidnappen. Also komm schon, steig auf.« Sebastian hielt mir den Helm hin und kurz darauf saß ich hinter ihm auf der Vespa.
    Ich schlang meine Arme um seinen Bauch und legte meinen Kopf an seinen Rücken. Unter Sebastians Helm lugten seine Haare hervor, sie kitzelten mich in der Nase. Ich hielt mich so fest, wie ich nur konnte, aber das hohle Gefühl war wieder zurückgekehrt, so stark wie gestern Abend. Es war, als hätte sich ein Loch in meine Brust gefressen.
    »Hey Becks. Muss ich mir Sorgen machen? Du siehst wirklich nicht gut aus«, sagte Sebastian, als wir vor meiner Haustür
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