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Lucas

Lucas

Titel: Lucas
Autoren: Kevin Brooks
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heranrasenden Pfoten hörten. Ich sah, wie sie blass wurden, wie ihnen die Kinnlade runterfiel, wie sie die Augen aufrissen, und dann rief ich: »
Stopp!
«
    Deefer kam direkt vor ihnen schlitternd zum Stehen.
    »
Sitz!
«
    Er setzte sich und sah sie mit gierigen Augen an. Sie trauten sich keinen Schritt weiter.
    Ich drehte mich zu Dad um. »Du kannst doch Motorrad fahren, oder?«
     
    Eine Minute später, nach ein bisschen Überredung durch Deefer, hatten wir zwei eklig-schmierige Schlüssel für zwei eklig-schmierige Motorräder. Dom ließ das eine an, Dad startete das andere. Die schweren Maschinen röhrten. Die Scheinwerfer schnitten durch den Regen und schwarzer Auspuffqualm stob in den Wind. Ich stieg auf den Sitz hinter Dad und schlug ihm auf die Schulter.
    »Okay«, schrie ich. »Auf geht’s, mach schon, Dad.
Los!
«
    Es war schwer zu fahren. Durch den vielen Regen und die Horden trampelnder Füße war der Weg aufgeweicht und bestandnur noch aus tiefen Pfützen und langen Strecken mit schwerem, glitschigem Matsch. Zu schnell und die Motorräder würden unter uns wegrutschen, zu langsam und wir steckten im Schlamm fest. Deshalb hielten wir die Geschwindigkeit konstant. Zwar nicht so schnell, wie ich es gern gehabt hätte, aber doch schnell genug. Der Wind blies scharf von der Seite und versetzte die beiden Maschinen immer mal wieder. Der Regen peitschte uns schwer entgegen und stach mir in die Haut.
    »Schau!«, rief Dad.
    Ich sah über seine Schulter und spürte plötzlich die volle Kraft des Windes in meinem Gesicht. Ein Stück weiter vorn waren zwei Motorräder zusammengekracht und lagen quer über dem Weg, die zwei mit Schlamm voll gespritzten Fahrer saßen daneben. Der eine hielt sich den Kopf, während der andere sein verletztes Bein betrachtete.
    Dad lachte. »Sieht so aus, als ob sie Lucas tatsächlich eingeholt hätten!«
    Der Wind war derart kalt, dass mir die Augen tränten und ich nicht genügend Luft in die Lunge bekam, um zu sprechen. Ich tätschelte Dads Schulter, um ihm zu signalisieren, dass ich verstand, was er meinte. Er fuhr um die aus dem Hinterhalt überfallenen Rocker herum und spritzte sie mit noch mehr Schlamm voll, dann gab er wieder Gas. Ich schaute über die Schulter zurück. Dominic war dicht hinter uns. Er legte sich schwer ins Zeug, das offene Hemd im Wind flatternd und ein irres Grinsen im Gesicht. Noch ein Stück dahinter sah ich Deefer durch den Schlamm springen. Er sah so aus, als ob auch ihm die Sache Spaß machte.
    Nur mir nicht.
    Mit jeder Sekunde, die verging, wurde mir das Herz schwerer. Am Horizont vermischte sich das Aluminium-Grau der See mit dem tristen Himmel zu einem allumfassenden Aufsteigen von dunkler Luft und dunklem Wasser, was etwas Urzeitliches hatte. Es wirkte kalt und hart. Wie ein Ort ohne Luft, ohne Leben, ohne Hoffnung. Wie das Ende von etwas. Dorthin gehen wir also, dachte ich. In die Schwärze, die Dunkelheit, an den Ort, wo nichts ist . . .
    Ich schüttelte das Dunkle aus meinem Kopf und griff nach meiner Hoffnung.
    Hoffnung.
    Hoffnung.
    Hoffnung.
    Dad schwang das Motorrad herum, hupte und rief in den Wind. Ich verstand nicht, was er sagte, aber als ich mich zur Seite beugte, sah ich die rauchenden Wracks zweier weiterer Motorräder, die im Schlamm lagen. Lucas war fleißig gewesen. Unter einem der zusammengestoßenen Motorräder lag noch halb begraben ein Körper, ein verschorfter junger Mann mit schmuddeliger Jeansjacke und eingerissener Ledermontur. Seine Augen standen offen und starrten in den fallenden Regen, aber er regte sich nicht. Der andere Fahrer kniete neben ihm im Regen und spuckte Blut.
    Was läuft hier?, dachte ich.
    Was
läuft
hier?
    Dad fuhr weiter durch den strömenden Regen, die Maschine kreischte, der Himmel über uns brüllte und blitzte, die Erde bebte . . . es war hoffnungslos. Ich schloss die Augen undbetete um einen Alptraum. Aus einem Alptraum kann man erwachen. Ich betete um den Regen, von dem ich geträumt hatte, um den Traum, in dem ich Lucas über den Strand hatte laufen sehen, gejagt von Leuten, die Steine warfen und ihn beschimpften.
Zigeuner! Dieb! Dreckiger Perverser!
Es waren Hunderte, die Stöcke, Schaufeln, Rohrstücke und Steine schwangen, irgendwas, das sie gerade zur Hand hatten. Ihre Alptraumgesichter waren hasserfüllt und vom Regen verschmiert.
Dreckiger Zigeuner! Dreckiges Schwein!
Jamie Tait war unter ihnen, eingeölt und in seiner zu kleinen Badehose. Auch Angel und Robbie waren dabei. Brendell, Bill,
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