Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lucas

Lucas

Titel: Lucas
Autoren: Kevin Brooks
Vom Netzwerk:
Treppe. In der schockierenden Stille hallte der Ton wie eine läutende Glocke über den Hof.
    Dad starrte einen Moment auf Robbies zusammengesackten Körper, dann drehte er sich mit einem bedrückten Kopfschütteln um und fasste die Menge ins Auge. Wie ein einziger zusammenhangloser Organismus starrten sie zurück – fünfzig glühende Augen durch den Regen. Dominic trat vor und stellte sich neben Dad. Die Bestie, in die sich die Menge verwandelt hatte, ließ ihre Augen blitzen – und dann bewegte sie sich. Knirsch, knirsch . . . fünfzig Beine und fünfzig Arme, eine gedankenlose Masse Fleisch und Knochen folgte einer inneren Reizung.
    Dad versuchte es noch einmal. »Denkt drüber nach!«, rief er aus. »Bleibt stehen und
denkt . . .
« Aber seine Worte gingen im Lärmen der Bestie unter. Unmenschliche Stimmen, Stöhnen, Fauchen und Knurren, gedankenlose Füße, die auf dem Kies knirschten.
    Dad gab es auf zu argumentieren und stellte sich auf Kampf ein. Sein Körper glitt in eine geduckte Haltung, dann ging er einen Schritt nach vorn, um dem Angriff entgegenzutreten. Deefer entblößte die Zähne und bewegte sich mit ihm, er bewachte seine Flanke, Dominic rührte sich, um die andere Flanke zu decken. Dads Augen blickten über die näher kommende Menge und versuchten die Anführer ausfindig zu machen. Er wusste, es war seine einzige Chance – die Anführer erledigen, dann würde der Rest vielleicht einfach aufgeben.
    Ich suchte mit ihm. Jamie . . . wo war Jamie? Da . . . er hatte sich etwas zurückfallen lassen, gleich hinter die Spitze, von Brendell geschützt, die andern anspornend, aber sich selbst aus der Schusslinie nehmend. Verdammt clever. Was war mit Toms? Nichts . . . nichts zu sehen von ihm. Von seinem Kriminalkommissar auch nicht . . .
    Ich sah, wie Dads Blick auf Tully Jones fiel. Jones war ganz vorn, bewegte sich schnell und schwang den Griff einer Spitzhacke.
    Mein Herz platzte vor Hitze. Ich verglühte. Ich fühlte mich so schrecklich, dass ich es gar nicht beschreiben kann. Alles auf einmal – lähmende Angst, Leere, Panik, Wahnsinn, Wut . . . mein Körper schreiend, brennend, weinend . . . mein Kopf betäubt, kreiselnd, kalt, überladen mit nichts und allem . . .
    Ich sah alles.
    Tully Jones trat mit einem verschlagenen Grinsen vor und täuschte Dad mit dem Griff seiner Spitzhacke, indem er ihn zu einem Schlag hob, dann sprang er zur Seite. Als sich Dad nach ihm umsah, schlichen sich zwei Rocker von hinten an.Der eine war klein und wieselartig und hielt ein Messer hinter dem Rücken bereit, der andere war ein riesiger, breiter Kerl mit strähnigem, schwarzem Haar und Händen so groß wie Schaufeln. Deefer erwischte das Wiesel und biss ihm ins Bein, Dom griff den großen Kerl an. Der Rocker schlug ihn weg, wie ein Bär Fliegen erschlägt, dann fiel er Dad von hinten an und drückte ihm die Arme an den Körper, während Tully Jones mit von Drogen glasigen Augen, die Spitzhacke geschultert, von vorn auf ihn zutrat.
    Ich dachte, alles wäre vorbei.
    Ein Blitz erhellte den Himmel und riss die Dunkelheit auf. Lucas kam aus dem Haus geflogen, sein Messer in der einen Hand, eine Whiskeyflasche in der andern. Er bewegte sich schnell und lautlos, schlug die Flasche in Jones’ Gesicht, wirbelte danach herum und schlitzte dem Rocker mit seinem Messer den Arm auf. Jones sackte auf dem Boden zusammen und der Rocker schrie und griff nach seinem blutenden Arm. Dann schrie er noch einmal, als Deefer ihm die Zähne in seinen Hintern rammte.
    Der Rest der Meute war einen Augenblick gelähmt.
    Jemand sagte: »
Das ist er!
«
    Und auf einmal erkannten alle gleichzeitig, wer er war.
    »
Er ist es!
«
    »
Der Zigeuner!
«
    »
Schnappt ihn!
«
    Sie setzten sich in Bewegung, aber Lucas ignorierte sie. Während er sich beiläufig den Regen aus dem Gesicht wischte, ließ er die Flasche zu Boden fallen und redete leise mit Dad. Ich verstand nicht, was er sagte, aber Dad sagte mirspäter, dass seine Stimme unvergesslich klar gewesen sei. Der genaue Wortlaut war: »Ich hab meine Tasche in Ihrem Zimmer gelassen. Da ist alles drin. Geben Sie sie Craine, wenn ich weg bin.« Dann lächelte er und meinte: »Vielleicht sprechen wir uns ja irgendwann wieder.«
    Die Menge kam jetzt rasch näher. Sie bellte und knurrte wie ein Rudel Schakale, aber Lucas schien es nicht zu kümmern. Mit erschreckender Ruhe schüttelte er Dads Hand und dankte ihm für alles, dann lächelte er und winkte mir zum Abschied und schließlich wandte er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher