Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lucas

Lucas

Titel: Lucas
Autoren: Kevin Brooks
Vom Netzwerk:
sich mit fast arrogantem Überdruss um und fasste die heranrückende Horde ins Auge. Der Körper ruhig, die Augen leer. Lucas’ Blick: ohne Angst, ohne Wut, ohne Schmerz, ohne Hass . . . ohne alles. Gar nichts, absolut nichts. Der emotionslose Blick eines Tiers, ein Blick des reinen Instinkts.
    Sie hatten ihn jetzt fast erreicht und einen schrecklichen Moment lang dachte ich, er hätte aufgegeben. Als würde er einfach dastehen und sein Schicksal annehmen. Aber dann, gerade als die Hände nach ihm griffen und ich dachte, es wäre zu spät, schwang er zurück, sprang elegant zur Seite und lief fort in den Regen.
    Mein Herz hüpfte vor Freude, als ich ihn rennen sah. Seine Füße berührten kaum den Boden. Er lief am äußeren Ende des Hofs entlang, beugte sich in den Wind, ein schneller Spurt über den Rasen, dann über den Gartenzaun und weg war er. Anmutig trotz seiner zerlumpten Kleidung flog er den Weg hinunter in Richtung Strand. Ehe die Menge kapierte, was passiert war, war er schon verschwunden.
    Ich lächelte unter Tränen.
     
    Falsche Hoffnung. Mehr war es nicht – nur falsche Hoffnung. Er konnte nirgendwohin. Die Insel war noch immer abgeschnitten. Es gab nichts, wo er hätte hinlaufen können. Ich wusste es. Er wusste es. Die Menge wusste es. Das Einzige, was er tun konnte, war Zeit schinden und die Menge von uns abziehen. Vielleicht könnte er ihnen eine fröhliche Jagd bieten, möglicherweise würde er ein paar Stunden, vielleicht sogar länger standhalten, aber am Ende würden sie ihn doch schnappen. Sie würden es in jedem Fall. Das war an seinen Augen abzulesen. An den Sternen. Es war seine Bestimmung.
    Aber man kann doch trotzdem hoffen, oder? Selbst wenn du weißt, dass du nur Zeit vergeudest, was kann es schaden zu hoffen?
     
    Der Himmel verdunkelte sich jetzt von Minute zu Minute. Ein schneidender Wind fegte dicht über den Boden, peitschte dann hoch in die Luft, wirbelte um den Hof und trieb den Regen in alle Richtungen. Nicht weit entfernt knallten Donner und blitzten die Wolken.
    Unten im Hof bellte Jamie Tait Kommandos und die Horde lief durcheinander und stapfte schließlich schwerfällig Lucas hinterher. Der Weg war zu schmal für Autos, aber ich sah, wie sich ein paar Rocker ihre Motorräder schnappten . . .
    Ich kroch aus meinem Versteck unter dem Dach, lief hinüber zur Luke und haute auf den Knopf, der die Leiter bedient. Mit einem Stöhnen kam sie langsam in Bewegung. Während sie Zentimeter um Zentimeter ausfuhr, trat ich vorsichtig an die Kante und warf einen Blick hinab auf den Flur. Die Fallhöhe war groß. Weiß der Himmel, wie Lucas es geschaffthatte. Wenn ich dort runterspränge, würde ich mir die Beine brechen, als wären sie Streichhölzer.
    »Jetzt
mach
«, sagte ich und stieß gegen die Leiter.
    Sie lief mit gleicher Geschwindigkeit weiter . . . sehr . . . sehr . . . lang . . . sam . . .
    Von draußen hörte ich, wie der Lärm der Menge, die den Weg entlangdrängelte, allmählich in der Ferne verebbte. Ich hörte Motorräder, Rufe und Wind und Regen, die an Stärke wieder zunahmen.
    Die Leiter war noch immer erst halb unten. Wenn ich noch wesentlich länger wartete . . .
    Ich sprang auf die weiter ausfahrenden Sprossen. Das plötzliche Gewicht ließ den Motor wimmern, eine halbe Sekunde später knallte irgendwas, die Leiter fiel runter und krachte auf den Boden. Das Einzige, woran ich mich erinnere, ist ein schrecklicher Schmerz im Rücken, doch irgendwie kam ich wieder auf die Füße, rannte nach unten und raste aus der Haustür auf den Hof.
    Eine kräftige Hand packte meinen Arm und stoppte mich. Ich wirbelte herum, holte mit der freien Hand aus und verpasste nur knapp Dads Gesicht.
    »Hui!«, sagte er. »Ich bin’s . . . ganz ruhig.«
    Ich schaute mich eilig um. Die Horde war schon verschwunden und jagte hinter Lucas her, den Weg hinunter. Der Hof war inzwischen fast leer. Tully Jones versuchte wieder auf die Füße zu kommen und hielt sich dabei einen dreckigen Lappen vors Gesicht, während sich ein Stück weiter die beiden verletzten Rocker gegenseitig über den Hof zu ihren Motorrädern halfen.
    Ich rief nach Deefer und er kam aus dem Dunkel gesprungen.
    »Siehst du die?«, sagte ich und zeigte auf die Rocker. »
Schnapp sie!
«
    Er lief in leichten Sprüngen hinter den beiden Gestalten her.
    »Verflucht noch mal«, sagte Dad. »Was
tust
du?«
    »Keine Sorge – warte einen Moment.«
    Die beiden Rocker drehten sich plötzlich um, als sie das Geräusch der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher