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Love Alice

Love Alice

Titel: Love Alice
Autoren: Nataly Elisabeth Savina
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Künstlerkind bin. Dass sie mich genauso braucht, wie ich sie brauche.
    Cherry ist in diesem Moment längst für den Aufbruch bereit. Sie steht vor Micha, der auf der Couch schläft. Cherry weiß, kein Trompetenkonzert der Welt würde ihn aufwecken. Cherry trägt ihre Mütze und die Sporttasche mit dem Karatekostüm in der Hand.
    »Papa! Fertig? Wir müssen los«, sagt Cherry zaghaft und trippelt nervös hin und her.
    Micha reagiert nicht. Er hat getrunken, viel getrunken letzte Nacht. Keine zehn Pferde könnten ihn jetzt von der Stelle bewegen. Cherry tritt näher und sieht auf ihren schlafenden Vater hinab. Micha schnarcht.
    »Papa?«, sagt Cherry leise.
    Sie weiß, dass er es nicht mit Absicht tut, und sie weiß auch, dass er sie liebt. Sie weiß, dass er nur aus Versehen ausgerechnet gestern getrunken hat und dass sie selbst daran hätte denken müssen, ihn an die Prüfung zu erinnern. Trotzdem ärgert sie sich. Sie fasst an die Kette, die um ihren Hals hängt, sieht auf die Uhr. Dann fällt ihr Blick auf Michas letztes Schachspiel, das er nachts gegen sich selbst gespielt haben muss. Sie kippt das Spiel vom Tisch, die Figuren rollen über den Boden.
    »Papa! Meine Karateprüfung!«, schreit sie ihn an.
    Danach legt Cherry eine Decke über Micha. Beim Rausgehen räumt sie ein paar leere Bierflaschen beiseite. Sie weiß, dass Alice dabei sein wird, und es ist ja auch nicht ihre letzte Prüfung.
    Ich inspiziere derweil Mamas Zustand. Es ist ein bisschen so wie früher, als ich einen Kinderarztkoffer hatte und wir Arzt und Patient gespielt haben. Damals wollte Mama unbedingt, dass ich mich für Medizin interessiere. Es hat nicht wirklich funktioniert. Dennoch bin ich voller Sorge.
    »Mama, du musst aufstehen, du hast doch gesagt, es sei so wichtig!«, sage ich. Schließlich hat sie die letzten Wochen von nichts anderem geredet, schießt es mir durch den Kopf.
    »Ich kann nicht aufstehen. Und ich kann nicht singen. Nicht heute«, wispert Mama.
    »Aber deswegen sind wir doch hier. Traviata, dein Traum! Mama!«
    Ich frage mich, ob ich einen Krankenwagen rufen muss oder ob es reichen würde, ihr ein Glas Wasser über dem Kopf auszuleeren.
    »Es ist zu wichtig, Liebes, aber ich schaffe es nicht. Ich bin zu alleine. Ich schaffe manche Dinge einfach nicht, verstehst du?«, sagt Mama unendlich traurig.
    »Du bist doch nicht alleine! Was ist mit mir?«, sage ich.
    Aber sie hört nicht zu.
    »Vielleicht ist es besser so, es ist ein Zeichen, nicht wahr, Dodo?«, flüstert sie schwach.
    Ich wünschte, ich wäre ein Riese, der sie aus ihren verschwitzten Laken hochreißt und mit riesigen zwei, drei Schritten zum Theater trägt. Wie King Kong.
    »Mama!« Ich werde nervös.
    Es klingelt an der Tür. Ich sprinte aus Mamas Zimmer und drücke auf den Summer. Aber es klingelt noch mal, ohne dass die Haustür aufgeht.
    »Cherry?«, sage ich in den Hörer.
    Ich habe große Angst, etwas falsch zu machen. Gleichzeitig habe ich nicht den Eindruck, dass ich eine Wahl habe.
    »Kommst du runter?«, fragt Cherry.
    Ich kann an ihrer Stimme hören, dass sie aufgeregt ist und in Eile und dass sie mich braucht.
    »Ich kann nicht«, flüstere ich in den Hörer, damit Mama mich nicht hört.
    »Was?!«, sagt Cherry.
    »Ich kann nicht, Mama geht es nicht gut, ich kann hier jetzt nicht weg«, sage ich.
    Cherry hat meine Mutter immer gemocht, sie hat sie bewundert. Aber jetzt ist Cherry vor allen Dingen zu spät.
    »Aber … Kommst du nach? Ich muss jetzt los«, sagt sie.
    »Ich versuche es, ja? Ich … Es tut mir so leid, aber es geht wirklich nicht«, sage ich.
    Es tut mir mehr leid, als ich es jemals mit Worten ausdrücken könnte.
    »Ich warte auf dich!«, sagt Cherry freundlich, und ich bin erleichtert, dass sie mir antwortet.
    »Stelle dir deine Hand und Fuß als Schwert vor!«, sage ich. Es ist eine Karateregel und das wollte ich ihr kurz vor der Prüfung sagen. Dann hänge ich den Hörer ein und kehre zu Mama ins Zimmer zurück.
    Das Gespräch mit Cherry hat mir neue Energie eingeflößt.
    »Du stehst jetzt auf«, sage ich energisch, so wie Cherry das tun würde. »Du musst da jetzt hin! Die müssen deinen Vertrag verlängern, oder? Das ist wichtig.«
    »Ich bin nicht gut genug. Ich bin nicht gut genug«, jammert Mama, aber ihre Stimme fistelt nicht mehr, und ich weiß, dass ich auf dem richtigen Weg bin.
    »Du hast gesagt, die Vorstellung ist ausverkauft. Und dass es unsere Chance ist«, sage ich. Ich klammere mich an diesen Strohhalm, seit
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