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Love Alice

Love Alice

Titel: Love Alice
Autoren: Nataly Elisabeth Savina
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Päckchen hoch. Es ist mit einer hellblauen Schleife umwickelt. Meiner Schleife.
    Den Rest des Tages verbringen wir im Papiercontainer. Wir vergraben uns in das Papier und bedecken unsere Köpfe mit einer ausgebreiteten Zeitung. Sobald jemand den Deckel öffnet und sein Altpapier reinschmeißen will, grölen wir mit verstellt tiefen Stimmen: »Gib mir dein Altpapier!«
    Die meisten erschrecken sich zu Tode, versuchen aber, es nicht zu zeigen. Alle sind bemüht, sich keine Blöße zu geben. Manche geben einen spitzen Schrei von sich, manche fluchen. Nur einer hat bisher gelacht. Wir aber kichern die ganze Zeit und mir tut schon der Bauch weh. Irgendwann schiebt mir Cherry ihr Heft auf die Knie.
    »Und? Weißt du es jetzt?«, fragt sie.
    Mir fällt immer noch nichts zum Reinzeichnen ein, aber nachdem ich das schon so oft gesagt habe, springe ich diesmal ins kalte Wasser. »Ja, gib her«, sage ich.
    Ich öffne das Heft. Zwischen den Seiten ist ein Stift eingeklemmt. Ich nehme den Stift, schließe das Heft wieder und öffne es noch mal mit geschlossenen Augen, um schicksalhaft eine beliebige Stelle zu finden.
    »Hier. Schau weg!«, sage ich.
    Cherry wendet sich ab, hebt mit dem Kopf den Containerdeckel und späht hinaus. Ich zeichne Buchstaben. L wie eine Tanne, O wie eine Kaulquappe, V wie ein Lächeln, E wie eine Gummischlange. A wie eine Hütte, L wie eine Katze mit einem langen Schwanz, I wie eine Kerze, C wie einen Halbmond mit Sternen drum herum. Und E wie einen Fisch mit Zähnen.
    LOVE ALICE.
    »Fertig?«, fragt Cherry ungeduldig.
    Ich schließe das Heft, wende mich Cherry zu und ziehe meine Kette mit dem Herzanhänger über den Kopf.
    »Das ist für dich«, sage ich.
    Cherry lächelt, als ich ihr die Kette umlege. Wir sitzen still da, bis jemand den Deckel öffnet und eine Tonne Modezeitschriften über uns schüttet.

Das Monster
    Und dann kommt der Tag, an dem etwas passieren wird. Ich trage mein Ausgehkleid und kämme mir das Haar und überlege mir ernsthaft, ob ich mir die Lider blau anmale wie Cherry. Ich stecke mir das Haar hoch und laufe durch die Wohnung auf der Suche nach einer Haarspange. Seitdem ich die Küche aufgeräumt habe, ist sie der einzige Ort, wo das Chaos gebändigt wurde. In allen anderen Zimmern ist es nur schlimmer geworden und seit gestern ist sowieso die Hölle los. Heute ist der wichtige Tag, heute ist Hannah Blumberg auf der Bühne und hat den Auftritt ihres Lebens, den Tag der Tage ihrer Karriere, heute ist die Vorstellung, für die wir hierhergekommen sind.
    Für mich ist etwas anderes wichtig, nämlich Cherrys Karateprüfung, die darüber entscheidet, ob sie den grünen Gürtel bekommt. Ich soll zuschauen, Daumen drücken und klatschen. Ich bin mir ganz sicher, dass wir danach feiern werden, obwohl ich noch keine Idee habe, wie. Ich werde immer aufgeregter, je mehr ich mit meinen Vorbereitungen voranschreite. Ich gehe an Mamas Zimmer vorbei, um zu sehen, ob sie auch schon so weit ist.
    Zu meiner großen Überraschung liegt Mama im Bett unter zwei Decken und sieht verdammt unglücklich aus. Um den Hals hat sie einen überdimensionalen Schal gewickelt. Es ist schwer, zu ignorieren, dass sie offenbar darauf wartet, angesprochen zu werden.
    »Mama, hast du meine Spange gesehen?«, frage ich.
    »Ich kann mich nicht bewegen, Alice«, antwortet Mama heiser.
    »Cherry hat heute ihre Prüfung. Ich gehe zuschauen«, sage ich.
    Ich bekomme das ungute Gefühl, dass irgendetwas ganz anders laufen wird. Mama krümmt sich im Bett zusammen und rollt sich auf die Seite. Ich sehe auf die Uhr, ich muss gleich los.
    »Mama?«, sage ich.
    »Ah«, sagt Mama.
    »Gehst du nicht bald ins Theater? Musst du heute nicht früher hin?«, frage ich.
    Ich beginne, mir ernsthaft Sorgen zu machen.
    »Ich kann mich nicht bewegen, Alice. Es geht nicht«, sagt Mama und alles in meinem Bauch wird kalt.
    Was kann das nur sein und was kann ich tun?, denke ich. Ich gehe zu ihr und knie mich vor ihr Bett.
    »Mama? Geht es dir nicht gut?«, frage ich unnötigerweise.
    Es ist nicht oft passiert, dass sie krank war, und ich hatte noch nie Gelegenheit, mich an diese beängstigende Hilflosigkeit zu gewöhnen. Ich merke auf einmal, wie klein ich bin und wie alleine ich ohne Mama wäre. Dass niemand mehr auferlegt bekommt, als er bewältigen kann – das habe ich einmal in einer Fernsehserie gehört. Ich spüre meine Liebe und Verantwortung für meine Mutter, und in diesem Moment denke ich daran, dass ich ein auserwähltes
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