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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes
Autoren: Emile Zola
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überlassen. Eine seiner Schwestern begleitete ihn, Martha, zwei Jahre älter als er, die nach Paris gekommen war, um in seinen Dienst zu treten. Sehr bescheiden in ihrer untergeordneten Stellung als Mädchen für alles, hatte sie ihren Platz verlassen, um ihm zu folgen, und verzehrte nun ihre mageren Ersparnisse.
    »Ich stand gerade auf dem Perron, als man ihn in den Wagen hob; vier Männer hielten...«
    Sie konnte aber nicht weitersprechen; sie bekam einen Hustenanfall, der sie zwang, sich wieder auf die Bank niederzulegen. Sie rang mühsam nach Atem, die roten Äpfelchen auf ihren Backen wurden ganz blau. Sofort richtete ihr Schwester Hyacinthe den Kopf in die Höhe, trocknete ihre Lippen mit einem Leinentuche, das rote Flecken bekam. Frau von Jonquière war in demselben Augenblicke um die Kranke beschäftigt, die ihr gegenüber saß und ohnmächtig geworden war. Sie hieß Frau Vêtu, war die Frau eines kleinen Uhrmachers, der seinen Laden nicht hatte schließen können, um sie nach Lourdes zu begleiten. Sie hatte sich daher in die Hospitalität aufnehmen lassen, um die nötige Pflege zu haben. Die Furcht vor dem Tode hatte sie zur Kirche zurückgeführt, in die sie seit ihrer ersten Kommunion die Füße nicht mehr gesetzt hatte. Sie wußte, daß sie dem Tode unrettbar verfallen war, da der Krebs ihren Magen zerfraß. Schon hatte sie das zitronengelbe, entstellte Aussehen der Krebskranken. Ihr Auswurf war ganz schwarz, als ob sie Kienruß von sich gegeben hätte. Auf der ganzen Reise hatte sie noch kein einziges Wort gesprochen, ihre Lippen waren fest geschlossen, sie litt entsetzlich. Dann war Erbrechen eingetreten, und sie hatte das Bewußtsein verloren. Sobald sie den Mund öffnete, hauchte sie einen entsetzlich stinkenden Atem aus, einen Pestgeruch, der den Magen zum Umwenden brachte.
    »Das kann man unmöglich aushalten«, murmelte Frau von Jonquière, die sich einer Ohnmacht nahe fühlte, »es muß etwas Luft gemacht werden.«
    Schwester Hyacinthe war gerade damit fertig geworden, die Grivotte auf ihre Kissen zu betten.
    »Gewiß, öffnen wir ein paar Minuten das Fenster. Aber nicht auf dieser Seite hier, denn ich habe Angst vor einem neuen Hustenanfall... Öffnen Sie es auf Ihrer Seite.«
    Die Hitze wurde immer ärger. Man erstickte fast in der dicken, ekelhaften Atmosphäre. Es war eine wirkliche Erleichterung, als frische Luft hereinkam. Einige Minuten gab es jetzt andere Geschäfte zu besorgen, und eine allgemeine Reinigung fand statt. Die Schwester wusch alle Geschirre und Becken, deren Inhalt sie zum Fenster hinausschüttete, während die zur Hilfe beigegebene Dame mit einem Schwamme den Fußboden auftrocknete. Dann gab es ein neues Geschäft: die vierte Kranke, die sich bisher noch nicht gerührt hatte, ein zartes Mädchen, dessen Gesicht ganz von einem schwarzen Tuche verhüllt war, sagte, sie hätte Hunger.
    Frau von Jonquière erbot sich gleich in ihrer ruhigen, ergebenen Weise, für sie sorgen zu wollen.
    »Sie brauchen sich nicht darum zu kümmern, liebe Schwester. Ich werde ihr das Brot in kleine Stücke schneiden.«
    Marie hatte sich in ihrem Verlangen nach Zerstreuung für die regungslose Gestalt, die sich unter dem schwarzen Tuche versteckt hatte, lebhaft interessiert. Sie vermutete, daß sie irgendeinen Schaden im Gesicht hätte. Man hatte ihr gesagt, es wäre eine Erzieherin. Die Unglückliche, Elise Rouquet aus der Picardie, hatte ihre Stelle verlassen müssen und lebte in Paris bei einer Schwester, die sie schlecht behandelte. Da sie aber kein anderes Leiden hatte, hatte sie kein Hospital aufnehmen wollen. Bei ihrer großen Frömmigkeit war es schon seit Monaten ihr heißer Wunsch, nach Lourdes zu gehen. Marie wartete mit stummer Besorgnis, ob sich wohl das schwarze Tuch heben würde.
    »Sind die Stücke so klein genug?« fragte Frau von Jonquière in mütterlichem Tone. »Können Sie sie selbst in den Mund stecken?«
    Unter dem schwarzen Tuche krächzte eine heisere Stimme nur halb verständliche Worte.
    »Ja, ja, gnädige Frau.«
    Endlich fiel das Tuch, und Marie fuhr entsetzt zurück. Es war ein Lupus, der die Nase und den Mund ergriffen hatte, ein Geschwür, das sich unter einem Ausschlage immer weiter ausbreitete und die Schleimhäute zerfraß. Der Kopf, der sich in die Form einer Hundeschnauze verlängert hatte, war mit seinen struppigen Haaren und seinen großen runden Augen abschreckend geworden. Schon waren die knorpligen Teile der Nase fast ganz zerfressen. Der Mund war
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