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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes
Autoren: Emile Zola
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kennen müssen. Und alles verschwamm nach und nach, und sie sah sich wieder in ihrem Schmerzensstuhle, zwischen vier kalten Mauern eingeschlossen und hatte nur noch den glühenden Wunsch nach einem schnellen Tode, da es für sie im armseligen Glück dieser Erde keinen Platz gab.
    In jedem Jahre wurden die Leiden der Bernadette größer. Die Leidensgeschichte dieses neuen kindlichen Messias näherte sich ihrem Ende. Sie erhob sich nur noch, um sich von Stuhl zu Stuhl zu schleppen, dann sank sie wieder zurück und war genötigt, das Bett zu hüten. Ihre Qualen wurden entsetzlich. Ihre ererbte Nervosität, ihr Asthma, das sich durch die klösterliche Eingeschlossenheit noch verstärkt hatte, waren in Schwindsucht ausgeartet. Sie hustete gräßlich, Anfälle zerrissen ihre brennende Brust, und sie war halbtot danach. Um das Elend noch zu verstärken, war ein Knochenfraß am rechten Knie ausgebrochen, ein fressendes Übel, dessen Stechen ihr lautes Wehklagen entlockte. Ihr armer Körper bildete unter den beständigen Verbänden nur noch eine offene Wunde, die durch die Betthitze, den fortwährenden Aufenthalt zwischen den Kissen unaufhörlich gereizt wurde. Alle hatten Mitleid mit ihr, die Zeugen ihres Martyriums erklärten, man könne nicht heldenmütiger leiden. Sie versuchte das Wasser von Lourdes, das ihr aber keine Erleichterung brachte. Herr, allmächtiger König, warum heilst du denn die anderen und nicht sie? Um ihre Seele zu retten? Dann rettest du die Seelen der anderen also nicht? Welche unerklärliche Wahl! Sie schluchzte und wiederholte, um sich Mut zu machen: »Am Ende meiner Leiden winkt der Himmel, aber es währt noch lange, ehe das Ende kommt!« Das war immer ihr Gedanke, daß das Leiden der Prüfstein sei, daß man auf Erden leiden muß, um anderwärts zu triumphieren, daß das Leiden unerläßlich, beneidenswert und gesegnet sei. Ist das nicht eine Lästerung, allmächtiger Gott? Hast du denn weder Jugend noch Freude geschaffen? Willst du denn, daß deine Geschöpfe sich weder an deiner Sonne erfreuen noch an deiner festlichen Natur? Sie fürchtete die Empörung, die sie manchmal in Wut versetzte. Sie wollte sich abhärten gegen das Übel, über das ihr Körper schrie, und sie kreuzigte sich in Gedanken, sie streckte ihre Arme kreuzförmig aus, um sich mit Jesus zu vereinigen. Die Glieder schmiegte sie an seine Glieder, den Mund preßte sie gegen seinen Mund, und wie er, war sie in Bitterkeit gebadet. Jesus war in drei Tagen gestorben, sie, die die Erlösung durch den Schmerz erneuerte und starb, um den anderen das Leben zu bringen, mußte noch länger mit dem Tode ringen.
    Während ihrer schrecklichen Qualen sprach Schwester Marie-Bernard am 22. September 1878 die dauernden Gelübde aus. Es waren zwanzig Jahre her, seitdem die Heilige Jungfrau ihr erschienen war und sie heimsuchte, wie der Engel sie selbst heimgesucht hatte, sie wählte, wie sie selbst unter den Demütigsten und Reinsten ausgewählt worden war, um das Geheimnis des Königs Jesus zu bergen. Das war die mystische Erklärung der Erwählung des Leidens, die Daseinsberechtigung dieses armen, mit Qualen überhäuften und von allen menschlichen Schmerzen betroffenen Geschöpfes. Sie war der geschlossene Garten, der den Blicken des himmlischen Gatten gefällt. Sie hatte er gewählt und dann in dem Tod seines verborgenen Lebens begraben. Daher sagten ihr ihre Gefährtinnen auch, wenn die Ärmste unter der Wucht ihres Kreuzes wankte: »Vergessen Sie es denn? Die Heilige Jungfrau hat Ihnen versprochen, daß Sie glücklich sein sollen, nicht in dieser, sondern in der andern Welt.« Wieder neu belebt, antwortete sie, indem sie sich auf die Stirn schlug: »Ich sollte das vergessen? Nein, nein, hier steht es.« Nur in diesem Glauben an das Paradies der Glorie fand sie wieder Kräfte. Die drei persönlichen Geheimnisse, die die Heilige Jungfrau ihr anvertraut hatte, um sie gegen das Leiden zu waffnen, mußten Versprechungen der Schönheit, des Glückes und der Unsterblichkeit des Himmels sein. Welch ungeheuerlicher Betrug, wenn es jenseits des Grabes nur die dunkle Nacht der Erde gäbe, wenn die Heilige Jungfrau sich nicht unter den wunderbaren versprochenen Belohnungen am bestimmten Orte eingefunden hätte! Aber Bernadette hegte keinen Zweifel und nahm mit Freuden alle die kleinen Aufträge an, die ihr ihre Gefährtinnen für den Himmel mitgaben. Oh, allmächtige Illusion, köstliche Ruhe, ewig junge und tröstende Kraft!
    Und es kam die Agonie, es
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