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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes
Autoren: Emile Zola
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denn sie war ja so glücklich, wieder zu einem armen, unbekannten Mädchen zu werden wie in den fernen Tagen von Bartres! Später erzählte man, daß eine Mutter ihr gelähmtes Kind ins Kloster gebracht hatte, damit die Heilige es berühre und heile. Sie schluchzte so stark, daß die Oberin schließlich in den Versuch willigte. Aber da Bernadette sich stets unwillig sträubte, wenn man Wunder von ihr verlangte, so sagte man ihr nichts, sondern rief sie nur, um das kranke Kind in den Krankensaal zu tragen. Sie trug das Kind dorthin, und als sie es zur Erde setzte, ging das Kind: es war geheilt.
    Oh, wie oft sollten Bartrès, ihre freie Kindheit, die sie hinter ihren Lämmern zugebracht hatte, die von ihr auf den Hügeln, im hohen Grase, in den dichtbelaubten Wäldern verlebten Jahre wieder in ihr aufleben zu den Stunden, da sie, der Gebete für die armen Sünder müde, in Träumereien versank! Was dann im Grund ihrer Seele vorging, wußte niemand, niemand konnte sagen, ob ihr gequältes Herz nicht in unwillkürlichem Bedauern blutete. Eines Tages sprach sie ein Wort, das ihre Biographen, um ihre Leidensgeschichte noch rührender zu gestalten, berichten. Fern von ihren Bergen eingeschlossen, an ihr Schmerzensbett genagelt, rief sie aus: »Es ist mir, als wäre ich geschaffen worden, um zu leben, um zu handeln, um mich immer zu bewegen, aber der Herr will mich unbeweglich.« Welche Offenbarung, welche schreckliche Aussage voll unendlicher Traurigkeit! Warum wollte sie der Herr denn unbeweglich, dieses liebe Geschöpf voll Fröhlichkeit und Anmut? Hätte sie ihn nicht ebenso geehrt, wenn sie das freie, das gesunde Leben lebte, zu dem sie geboren war? Und hätte sie, anstatt für die Sünder zu beten, worin ihre einzige und vergebliche Beschäftigung bestand, nicht besser an der Vermehrung des Glückes der Welt und ihres eigenen Glücks gearbeitet, wenn sie ihren Teil der Liebe dem Gatten geschenkt hätte, der ihr bestimmt war, und den Kindern, die aus ihrem Schoß geboren worden wären? An gewissen Abenden, erzählt man, verfiel sie in tiefe Niedergeschlagenheit. Sie wurde düster und sank, gleichsam von dem Übermaß des Schmerzes vernichtet, in sich selbst zusammen. Zweifellos wurde der Leidenskelch schließlich zu bitter, und bei dem Gedanken, daß ihr Leben eine beständige Entsagung war, verfiel sie in schwere Kämpfe.
    Dachte Bernadette in Saint-Gildard oft an Lourdes? Was wußte sie von dem Triumph der Grotte, von den Wundern, die dieses Land täglich verwandelten? Die Frage ist niemals gelöst worden. Man hatte ihren Gefährtinnen verboten, sie von diesen Dingen zu unterhalten, und umgab sie mit einem vollständigen und beständigen Schweigen. Sie selbst liebte es nicht, davon zu sprechen, sie schwieg von der geheimnisvollen Vergangenheit und schien gar nicht begierig, die Gegenwart kennenzulernen. Aber flog nicht doch ihre Phantasie zu diesem Zauberlande ihrer Kindheit zurück, in dem ihre Familie lebte, an das sich alle Bande ihres Lebens knüpften, in dem sie den außerordentlichsten Traum zurückgelassen hatte, den ein Geschöpf jemals gesehen hat? Sicher machte sie oft in Gedanken die schöne Reise ihrer Erinnerungen und mußte wohl in großen Zügen alle bedeutenden Ereignisse von Lourdes kennen. Aber sie zitterte davor, sich persönlich dorthin zu begeben, und weigerte sich stets, denn sie wußte wohl, daß sie nicht unbemerkt vorbeiziehen konnte, und so wich sie vor der Menge zurück, deren Anbetung dort auf sie wartete. Welch ein Ruhm, hätte in ihr eine ehrgeizige Herrschernatur gelebt! Dann wäre sie an die heilige Stätte zurückgekehrt und hätte als Priesterin, als Päpstin in der Unfehlbarkeit einer Auserkorenen und Freundin der Heiligen Jungfrau dort Wunder gewirkt. Die Patres hatten das im Ernste nie befürchtet, obwohl der Befehl ausdrücklich lautete, sie um ihres eigenen Seelenheiles willen der Welt zu entziehen. Sie waren ruhig, sie kannten sie als so sanft und demütig, sie kannten ihre Furcht, ein göttliches Geschöpf zu sein, sie wußten, daß sie keine Kenntnis hatte von der riesigen Maschine, die sie selbst in Bewegung gesetzt hatte und vor deren Betrieb sie erschreckt zurückgewichen wäre, wenn sie sie begriffen hätte. Nein, nein, es gehörte nicht mehr ihr, dieses Land der Menge, der Gewalttat und des Schachers. Sie hätte dort zuviel gelitten, eine Heimatlose wäre sie geworden, das Treiben hätte sie betäubt, und sie hätte sich dessen geschämt. Und wenn Pilger sich dorthin
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