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London Boulevard - Kriminalroman

London Boulevard - Kriminalroman

Titel: London Boulevard - Kriminalroman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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mehrfach geliftete Ende sechzig.
    Geld und Pflege hatten das Gesicht instand gehalten. Ihre Augen waren von einem aufsehenerregenden Blau und sie musterte mich eindringlich, dann:
    »Ich nehme an, Sie sind zum Vorstellungsgespräch erschienen. Nun? Reden Sie. Was haben Sie zu sagen?«
    Ihre Stimme war tief, fast rau. Ein Timbre, wie es nur durch Zigaretten und Whiskey entsteht. Arroganz trägt natürlich auch ihren Teil dazu bei. Ich sagte:
    »Ich brauche einen Aschenbecher.«
    Sie zeigte auf eine große Kristallschale. Ich drückte die Kippe aus.
    Es ist schwer zu erklären, aber der Stummel zerstörte die Atmosphäre des gesamten Raums. Der einzelne Stummel wirkte wie ein Affront. Ich wollte ihn in die Tasche stecken. Sie sagte:
    »Denken Sie, dass Sie in Ihrem Laufburschenaufzug einen guten Eindruck machen?«
    Ich sagte: »Sie müssen nicht nett zu mir sein. Ich will nur den Job.«
    Sie machte einen Schritt auf mich zu, und ich dachte, sie wollte mich schlagen, dann lachte sie. Ein tiefes dreckiges Lachen. Die beste Sorte.
    Dann sagte sie:
    »Sarah hat erwähnt, dass Sie im Gefängnis waren. Was sind Sie, ein Dieb?«
    Genervter als beabsichtigt, sagte ich:
    »Ich bin kein Dieb.«
    »Oh je, da habe ich wohl einen wunden Punkt getroffen? War das ein Verstoß gegen irgendeinen Knastbruderkodex?«
    Sie sprach mit theatralischer Stimme. Als stünde sie auf der Bühne.
    Ich sollte noch merken, dass sie niemals nicht auf der Bühne stand. Ich sagte:
    »Eine Schlägerei, die aus dem Ruder lief.«
    Das Thema abschließend sagte sie:
    »Hier wird sich nicht geprügelt.«
    Aus heiterem Himmel überkam mich ein Anflug von Begierde. Ich konnte es nicht fassen. Mein Körper reagierte auf sie. Sie lächelte wissend, doch ich wollte erst gar nicht darüber nachdenken. Auf keinen Fall. Sie sagte:
    »Wir werden Ihnen eine Woche Probezeit geben. Jordan wird Sie mit Ihren Aufgaben vertraut machen.«
    Sie ging zur Tür, blieb stehen, sagte:
    »Wenn Sie unbedingt etwas stehlen müssen, nehmen Sie den widerlichen Aschenbecher mit.«
    Und verschwand.
    Ich folgte Jordan nach draußen zur Garage. Eher ein Flugzeughangar. Das Erste, was mir auffiel, war ein aufgebockter Wagen. Ich pfiff leise durch die Zähne und fragte:
    »Ist es das, wofür ich es halte?«
    »Ja, ist es.«
    Ich versuchte, seinen Akzent zu lokalisieren:
    »Sind Sie Deutscher?«
    »Ungar.«
    Er fuhr mit ausgebreiteten Armen herum und sagte:
    »Hier ist alles, was Sie brauchen.«
    Werkzeug.
    Blaumann.
    Leitern.
    Farbe.
    Ich fand das gut und sagte:
    »Gut.«
    Er zeigte auf eine Tabelle an der Wand und sagte:
    »Das ist Ihr Dienstplan.«
    »Was?«
    »Madame hat gerne alles genau auseinanderdividiert.«
    Für das letzte Wort brauchte er eine Weile, aber ich blieb bei der Stange und begriff, was er meinte. Ich sagte:
    »Stück für Stück.«
    Er zeigte auf die Tabelle und sagte:
    »Bitte sehen Sie selbst.«
    Das tat ich.
    Montag - Malerarbeiten
    Dienstag - Abflüsse
    Mittwoch - Dach
    Donnerstag - Fenster
    Freitag - Terrasse
    Ich tat, als würde es mich interessieren, als ergebe es irgendeinen Sinn. Ich sagte: »Und samstags ist Party.«
    Er ignorierte die Bemerkung und sagte:
    »Sie werden pünktlich um halb acht erscheinen. Ein leichtes Frühstück einnehmen. Punkt acht beginnt die Arbeit. Um elf gibt es eine Teepause von zwanzig Minuten. Um eins werden Sie ein Stunde lang Mittag machen. Um genau vier Uhr endet Ihr Arbeitstag.«
    Ich wollte zum Hitlergruß ansetzen und schreien:
    »Jawohl, Herr Kommandant.«
    Stattdessen fragte ich:
    »Arbeitet sie zurzeit?«
    »Madame erholt sich.«
    »Du liebe Güte, den Plakaten nach erholt sie sich seit dreißig Jahren.«
    »Sie wartet auf das geeignete Vehikel.«
    Ich nickte Richtung Rolls-Royce Silver Ghost und sagte:
    »Der sollte es doch tun.«
    Jede Entgegnung, die ihm auf der Zunge gelegen haben mochte, erübrigte sich, weil ein Transporter vorfuhr. Auf der Seite stand:
    LEE
    Bau und Instandhaltung
    Ein dicker Mann stieg aus, was aufgrund des Gewichts, das er mit sich herumschleppte, eine Weile dauerte. Er trug einen Overall und eine Baseballkappe. Eine schmutzige Baseballkappe, der Schriftzug LEE ließ sich kaum noch entziffern.
    Er watschelte herüber, nickte Jordan zu, sah mich an und fragte:
    »Wer ist der Kasper?«
    Jordan sagte: »Mr. Lee, Sie arbeiten hier nicht mehr. Ich dachte, ich hätte mich deutlich ausgedrückt.«
    Lee machte eine abfällige Handbewegung und sagte:
    »Regen Sie sich ab, Jordan. Die alte Schachtel da drin
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