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Lohn des Todes

Titel: Lohn des Todes
Autoren: Ulrike Renk
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wollte nun zu ihm.
    »Ist ja schon gut, mein Freund«, murmelte ich und löste die Leine. Sofort sprang der Hund um die Ecke. Ich hörte seine Pfoten
     auf dem Kies knirschen. Er bellte einmal kurz und freudig.
    »Charlie?«
    Ich gab mir einen Ruck und ging um die Hauswand, betrat den Hof. Überrascht stellte ich fest, dass die Terrasse mit Holzdielen
     belegt war.
    Nach dem Ereignis im Herbst hatte Martin einen Bauunternehmer beauftragt, das Haus zu renovieren. Mehrfach waren wir nach
     Hechelscheid gefahren, um den Fortschritt zu |12| begutachten und weitere Anweisungen zu geben. Lange hatte ich es jedoch nicht ausgehalten. Nun war das Haus fertig, ich hatte
     es allerdings noch nicht im vollendeten Zustand gesehen.
    Martin schaute mich überrascht an. Er und vier weitere Männer saßen auf den Bistrostühlen aus Aluminium, die ich letztes Jahr
     für den Hof gekauft hatte. Maria saß auf einem meiner bunten, großen Kissen aus dem Wohnzimmer vor Martin auf dem Boden. Seine
     Hand lag auf ihrer Schulter, eine intime Geste. Nun ließ er sie los, es wirkte schuldbewusst, und stand auf.
    »Conny? Was machst du hier?«
    Dasselbe hätte ich auch fragen können, doch ich schluckte die Frage hinunter.
    »Wir wollten doch das Wochenende hier verbringen.« Ich zwang mich zu lächeln. »Da du nicht konntest, habe ich mich spontan
     entschlossen, alleine zu fahren.«
    »Das ist ja eine Überraschung.« Er kam auf mich zu, blieb jedoch einen Meter vor mir stehen. »Wir arbeiten an einer Fallanalyse.«
    »Hier?« Ich zog die Augenbrauen hoch.
    »Nun, die beiden Fälle sind komplex, wir brauchten einen Ortswechsel, einen Bruch, um neu anzufangen, neue Impulse zu bekommen.
     Ich dachte, das Haus würde sich anbieten.«
    »Tatsächlich?« Ich hörte den sarkastischen Ton in meiner Stimme.
    »Ja, wir wollten bis morgen oder übermorgen bleiben.« Er warf einen schnellen Blick über seine Schulter zu den anderen, musterte
     mich dann wieder nachdenklich. »Aber das Haus ist ja groß genug, es ist kein Problem, dass du auch hier bist.«
    Ich schluckte hart. Wie gnädig von ihm, er schickte mich nicht direkt nach Hause. Trotzdem kam ich mir wie ein Eindringling
     in meinem eigenen Haus vor, ein seltsames Gefühl.
    Martin wandte sich zu den anderen. »Dies ist Constanze van Aken, meine Lebensgefährtin.« Er lachte leise, es klang nicht heiter.
     »Ich habe gar nicht mit ihr gerechnet.«
    |13| Eine spöttische Antwort lag mir auf der Zunge, doch ich biss die Zähne zusammen, nickte den anderen zu. Außer Maria und Andreas
     kannte ich niemanden. Maria war seit einiger Zeit Martins Assistentin. Sie war jünger als ich, kleiner, weiblicher und hatte
     lockige, dunkle Haare, die ihr herzförmiges Gesicht wie eine Wolke umgaben. Ich war groß, eher hager und hatte glatte Haare
     in einem gewöhnlichen Straßenköterblond. Irgendwie kam ich mir ihr gegenüber benachteiligt vor, was auch daran liegen mochte,
     dass Martin wesentlich mehr Zeit mit ihr verbrachte als mit mir.
    Vor einigen Jahren war das gerichtsmedizinische Institut in Aachen geschlossen worden, alle Bereiche hatte man in Köln zusammengefasst.
     Seitdem führten wir eine Wochenendbeziehung. Um die verbleibende Zeit intensiver nutzen zu können, hatten wir das Haus in
     der Eifel gekauft. Und nun war er hier mit ihr, mit Maria. Es fühlte sich wie ein Verrat an.
    Ich schalt mich eine dumme Gans und zwang mich, alle freundlich zu begrüßen. Bevor ich jedoch die Terrasse erreicht hatte,
     war Maria schon aufgestanden und zur Terrassentür gegangen.
    »Möchte jemand einen Kaffee?«, fragte sie. Die anderen murmelten zustimmend.
    Ein Mann stand auf und trat auf mich zu. Er überragte mich, musste also mindestens ein Meter und fünfundachtzig groß sein.
     Seine dichten, blonden Haare wirbelten sich über seiner Stirn zu einer Tolle. Ich schätzte ihn auf Mitte vierzig, etwa so
     alt wie Martin. Er war massig, aber nicht dick, wirkte durchtrainiert. Sein Händedruck war fest und warm.
    »Robert Kemper, BKA. Wir arbeiten an einer OFA, einer operativen Fallanalyse. Es freut mich, Sie kennenzulernen, Frau van
     Aken.«
    Operative Fallanalyse des BKA? Überrascht zog ich die Augenbrauen hoch. Das war die deutsche Art des Profiling. Anders als
     in amerikanischen Fernsehfilmen arbeitete man in Deutschland in einem Team aus verschiedenen Spezialisten, um das Profil eines
     Serientäters zu ermitteln.
    |14| »Es geht um eine Mordserie?«, fragte ich leise.
    »Wir sind uns nicht ganz
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