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Lohn des Todes

Titel: Lohn des Todes
Autoren: Ulrike Renk
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geschnüffelt, die Ohren
     leicht nach hinten gelegt und vermutlich verwirrt von all den fremden und neuen Gerüchen. Auch in diesem Raum ging er langsam
     von einer Seite zur anderen, schnüffelte. Seine Krallen erzeugten ein leichtes Scharren auf dem Holzboden, ein vertrautes
     Geräusch. Schließlich sah er mich an, drehte sich zweimal im Kreis und legte sich vor dem Bett auf den Boden, so als wolle
     er mir zu verstehen geben, dass alles in Ordnung war.
    Ich setzte mich auf die Bettkante, vergrub das Gesicht in meinen Händen. Das Haus hatte nichts von der Bedrohlichkeit meiner
     Albträume. Es war ein schönes Wochenendhaus geworden, behaglich, in warmen Tönen gestrichen, mit gemütlichen Möbeln ausgestattet.
     Ich ließ mich zurückfallen, atmete tief durch.
     
    Ich musste eingeschlafen sein, eine Art des Bewusstseins, mit Problemen fertig zu werden. Als ich die Augen wieder aufschlug, |17| stand die Sonne tief am Himmel, die Luft war kühler geworden, es roch würzig nach dem Tannenwald, der hinunter zum See führte.
     Irgendwo muhten Kühe, warteten ungeduldig darauf, zum Melken von der Weide geholt zu werden.
    Von unten konnte ich Stimmen hören. Wahrscheinlich befassten sie sich wieder mit der Fallanalyse.
    Bei operativen Fallanalysen handelte es sich nicht um Verbrecherjagd, so wie es oft im Fernsehen dargestellt wird. Meist befasst
     sich eine Gruppe von Experten mit einem Fall, beschreibt den Tathergang, die Opferpersönlichkeit, den Modus Operandi des Täters,
     das Motiv und forensische Daten, um einen Eindruck vom Täter zu bekommen. Gibt es mehrere Fälle, die ähnlich gelagert sind,
     werden sie unabhängig voneinander analysiert und dann erst verglichen. So kann man eine Vermutung über das Profil, Alter und
     die Herkunft des Täters bekommen.
    Diese Art zu arbeiten war langwierig und schwierig. Sie lief parallel zur herkömmlichen Ermittlungsarbeit der Polizei, meist
     jedoch Hand in Hand mit ihr.
    Ich hatte mich mit dieser Art von Fallanalyse beschäftigt, da mich die forensische Psychologie interessierte. Das war »davor«
     gewesen. Jetzt schreckte mich jeder Bezug zu Verbrechen ab. Selbst Gutachten zu Scheidungsverfahren schienen mir im Moment
     zu schwierig zu sein. Stattdessen hatte ich wieder Kontakte zum Kinderhospiz aufgenommen und betreute dort einen Jungen, der
     in absehbarer Zeit an einem Tumor in seinem Kopf sterben würde.
    »Ablehnung der Realität«, nannte es Miriam Nebel. Sie war meine Mentorin.
    »Ich wüsste nichts, was reeller wäre als der Tod eines Kindes«, hatte ich erwidert, ein wenig Trotz in der Stimme.
    »Du befasst dich mit einem schrecklichen Schicksal eines anderen, einem der furchtbarsten Schicksale überhaupt – dem Tod eines
     Kindes –, um dich nicht mit dir selbst auseinandersetzen zu müssen.«
    »Was ist daran falsch, sich auf die Probleme anderer zu konzentrieren? |18| Du tust es doch auch. Hier. Jetzt. Mit mir.« Ich schnaufte. »Zu viel Introspektion kann einen verrückt machen.«
    »Von verrückt bist du meilenweit entfernt, Conny. Von Introspektion allerdings auch. Du weißt doch, wie es läuft.« Sie lächelte
     freundlich.
    »Es zu wissen und es auf mich selbst anzuwenden sind zwei verschiedene Paar Schuhe.« Ich senkte den Kopf.
    Mein Magen knurrte. Seit heute Morgen hatte ich nichts mehr gegessen. Meine Sachen und auch die Vorräte, die ich eingepackt
     hatte, befanden sich noch in meinem Wagen in der Auffahrt. Ich konnte zwei Dinge tun, wurde mir klar, sie holen und hier bleiben
     oder einsteigen und wieder nach Aachen fahren.
    In dem frisch renovierten und neu gestalteten Haus erinnerte kaum noch etwas an »damals«. Stattdessen hatten sich die Schatten
     verlagert. Unten saß eine Gruppe Kriminalisten und beschäftigte sich mit einem grausamen Mord. Die Ruhe, die ich meinte, zu
     brauchen, um mit meinen Ängsten fertig zu werden, war hier nicht gegeben. Wenn ich hier blieb, würde ich mich mit fremden
     Menschen abgeben müssen, die Themen behandelten, vor denen ich davonlief.
    Schocktherapie, kam mir in den Sinn. Hatte Martin das etwa eingefädelt? Wollte er mich mit aller Macht wieder in mein altes
     Leben und früheres Ich zurückzwingen? Blödsinn, Constanze, er konnte nie im Leben ahnen, dass du ohne ihn hierher kommst.
     Es schien ihn noch nicht einmal zu freuen, im Gegenteil. Ich störte ihn vermutlich genauso, wie seine Kollegen mich, wenn
     nicht sogar noch mehr. Das Gefühl, ein unwillkommener Eindringling in einem Bereich seines
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