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Lohn des Todes

Titel: Lohn des Todes
Autoren: Ulrike Renk
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etwas einem anderen an? Es war keine Tat im Affekt gewesen. Oder
     vielleicht doch? Vielleicht gehörten die Fesseln und einige der Blessuren zu den sexuellen Spielchen, die sie im Einvernehmen
     miteinander gespielt hatten, und dann war es eskaliert, umgeschlagen. Vielleicht war der Mann bei einer Domina gewesen und
     fand Befriedigung in devotem Verhalten?
    Es gab Menschen, die höchste Lust durch Qualen erfuhren, die sich gerne schlagen und verletzen ließen. Aber wie passten dann
     die Spermaspuren dazu? Homoerotische Spiele, Constanze, das wäre auch eine Möglichkeit, dachte ich. Und dann: Verdammt, du
     machst es schon wieder. Du denkst darüber nach.
    »Für eine Quiche brauche ich Blätter- oder Mürbeteig. Mehl habe ich nicht da«, sagte ich laut.
    Vielleicht war aber Mehl in der Küche. Zucker und Kaffeesahne waren auch dort gewesen, Maria hatte die Sachen mühelos in den
     Schränken gefunden. In den Schränken, die ich noch nicht geöffnet hatte. Wer hatte das Geschirr eingeräumt? Martin? Aber wann?
    Es waren zu viele Sätze mit einem Fragezeichen dahinter in meinem Kopf.
    »Nicht alles ist immer so kompliziert, nicht wahr, Charlie? Sicher gibt es eine einfache und logische Erklärung für alles.«
     Ich versuchte meiner Stimme einen überzeugenden Klang zu geben, doch es klang eher gepresst.
    Das liegt daran, dass ich keine Kondition mehr habe. Die |22| Spaziergänge mit Charlie rund um die Frankenberger Burg waren alles, was ich in den letzten Monaten an körperlicher Ertüchtigung
     gehabt hatte. Viel zu wenig. An einer Weggabelung blieb Charlie stehen und blickte sehnsüchtig auf den Pfad, der hinunter
     zum See führte.
    »Nein, Charlie. Nicht zum See. Nicht alles auf einmal. Schritt für Schritt. Einen Schritt nach dem anderen.« Ich nahm den
     anderen Pfad, der zurück nach Hechelscheid führte.
    Wann hatte der alte Mann gewusst, dass er sterben würde? Als der Täter ihm die Schnittwunden beibrachte und das Blut und sein
     Leben langsam aus ihm herausflossen? Oder schon vorher, nach zwei, drei Tagen ohne Nahrung und Flüssigkeit?
    Ein Spiel, das Hunger und Durst beinhaltete? Möglich war das. Sexuelle Vorlieben konnten so ziemlich alles beinhalten, was
     man sich vorstellen konnte, und auch manches, was jenseits meiner Vorstellung lag.
    Und doch, es schien mir abwegig zu sein, dass jemand so etwas gerne mit sich machen ließ. Wie war die Leiche gefunden worden?
     Und wo? Ich tat es schon wieder.
    »Ich könnte Brathähnchen in Rurberg kaufen und Salat. Dazu Brot. Was meinst du, Charlie?« Ich sah ihn an, doch diesmal hielt
     er seine Nase schnuppernd in den Wind.
    Es knackte im Gebüsch, und plötzlich sprang ein Hase auf den Weg. Er sah uns und schien für einen Moment zu erstarren, dann
     sprang er weiter, schlug einen Haken und verschwand im Unterholz. Charlie schaute ihm sehnsüchtig hinterher, besann sich dann,
     streckte sich und sah stoisch nach vorne.
    »Guter Hund«, murmelte ich.
    Meine Muskeln schmerzten, mein Atem ging stoßweise, als wir endlich den knirschenden Kies des Hofes erreichten.
    Noch schien die Sonne auf den Hof. Ich ließ mich erschöpft auf das Holzdeck der Terrasse sinken. Charlie stand neben mir,
     wedelte auffordernd mit der Rute, hechelte. Er brauchte Wasser. Ich auch. Trotzdem schaffte ich es nicht aufzustehen. Wie
     festgeklebt blieb ich sitzen, die Beine leicht gespreizt, die |23| Ellenbogen auf die Knie gestützt und den Kopf gesenkt. Schweiß lief mir über den Rücken.
    Die Terrassentür ging auf. Martin reichte mir eine Flasche Mineralwasser, setzte sich neben mich auf die Holzplanken der Terrasse.
    »Hey du«, sagte er leise.
    »Hmm.«
    Zwischen uns standen viele Worte, aber keiner von uns traute sich, sie auszusprechen.
    Ich trank gierig, griff dann hinter mich. Dort stand immer noch das Kaffeegedeck auf einem Tablett auf dem Boden. In eine
     der Untertassen goss ich ein wenig Wasser, stellte sie vor Charlie. Er krauste die Nase, schnaufte, die Kohlesäurebläschen
     kribbelten ihm in der Nase, schließlich überwand er sich und schleckte die Flüssigkeit auf. Dann legte er sich zu meinen Füßen
     hin.
    »Ich bin sehr überrascht, dass du hier bist.« Martin sah mich nicht an, knetete seine Hände.
    »Tut mir leid, wenn ich störe.« Ich klang trotzig wie eine Vierjährige. Vorsichtig berührte ich seinen Arm, eigentlich war
     es keine wirkliche Berührung, eher ein Lufthauch.
    Martin schüttelte den Kopf. »Warum machst du das? Warum ist es so geworden
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