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Lohn des Todes

Titel: Lohn des Todes
Autoren: Ulrike Renk
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war die Lösung ganz einfach, ich musste nur damit aufhören, musste es schaffen, wieder die
     Grenze zwischen mir und allen Grausamkeiten zu ziehen.
    »Where is my mind?«, summte ich leise. Wo ist mein Verstand?
    Plötzlich sehnte ich mich nach Gesellschaft, nach Lachen, Wärme, freundlichen Gesichtern und Pizza. Ich zog mich an und ging
     zur Treppe.
    Du kannst das, Conny, sagte ich mir. Du kannst wieder am Leben teilnehmen, lachen, Witze machen und dich mit anderen unterhalten.
     Dass du es monatelang nicht getan hast, bedeutet nicht, dass du es nicht mehr kannst. Ich ging hinunter.
    Sie saßen im Wohnzimmer, hatten zwei Korbstühle geholt, das Sofa nach hinten geschoben und so die Runde vor dem Ofen vergrößert.
     Obwohl der Nachmittag fast sommerlich warm gewesen war, hatte sich inzwischen die nächtliche Kühle wie eine Decke über die
     Landschaft gelegt. Nebelschwaden zogen geisterhaft über den Rursee. Die Klappe des Ofens stand auf. Es roch nach Feuer und
     Harz.
    Ich blieb in der Tür stehen, biss mir auf die Lippen, wusste plötzlich nicht mehr, was ich sagen sollte.
    »Conny!« Es war Andreas, der mich rettete. »Wie schön, dass du geblieben bist.« Es klang so, als ob er es ehrlich meinte. |29| Hatte Martin ihnen von mir erzählt? Von meinen Problemen? Was mochten sie von mir denken?
    »Es war bestimmt ein ganz schöner Schock, uns alle hier vorzufinden. Eine unerwartete Hausbesetzung. Wie können wir das wiedergutmachen?
     Möchtest du Wein?«
    »Ja.« Ich nickte und versuchte ein vorsichtiges Lächeln. »Sofern ihr einen gekühlten Weißwein da habt.«
    Martin stand auf. »Haben wir. Einen Chardonnay. Ich hole ihn dir.«
    Er berührte mich leicht, als er an mir vorbeiging. Am liebsten hätte ich ihn in die Arme genommen und an mich gepresst, ihn
     festgehalten und mich für alles, was ich ihm zumutete, entschuldigt.
    »In der Küche ist noch ein Stuhl.« Robert Kemper rückte ein wenig zur Seite, machte Platz für mich. Jemand stand auf, holte
     den Stuhl und stellte ihn in die entstandene Lücke. Mit einem Ploppen öffnete Martin die Weinflasche, schenkte mir ein Glas
     ein. Er lächelte zaghaft. »Möchte noch jemand Weißwein, oder bleibt ihr bei Bier?«
    »Hast du auch einen Roten?«
    »Merlot. Aber damit sind unsere bescheidenen Vorräte erschöpft. Einen Cocktail kann ich nicht bieten.« Martin ging wieder
     in die Küche, Maria folgte ihm, brachte Gläser und Besteck.
    »Die Pizza müsste gleich kommen«, sagte sie, nachdem sie einen Blick auf die Uhr geworfen hatte.
    Ich setzte mich, nippte an meinem Wein, betrachtete verstohlen die anderen, spürte ihre neugierigen Blicke auf mir. Für einen
     Moment versickerte die Unterhaltung.
    »Wir haben uns zwar heute Nachmittag schon kurz vorgestellt, aber ich weiß nicht, ob Sie sich an unsere Namen erinnern«, sagte
     einer der Männer. Er hatte kurze, lockige Haare, graue Augen und einen Kinnbart. »Ich bin Julius Hartfeld, Kripo Köln.« Er
     nickte mir freundlich zu.
    »Thorsten Schneider, ebenfalls Kripo Köln.« Thorsten trug die glatten, braunen Haare zu einem Pferdeschwanz. Sein Gesicht |30| war rund und freundlich, ein verschmitztes Lächeln umspielte seine Lippen. Auf den ersten Blick hätte ich ihn für einen Sozialpädagogen
     oder Erzieher gehalten.
    »Robert Kemper, BKA Wiesbaden.« Kemper hob sein Glas, prostete mir zu. »Ein wunderschönes Haus haben Sie hier. Es war eine
     gute Idee von Martin, uns hierher zu bringen.«
    »Eine ungewöhnliche Idee, oder?«
    »Schon, aber manchmal hilft ein Ortswechsel, um neue Impulse zu bekommen. Wir haben uns zu sehr in unwichtige Details verrannt,
     liefen im Kreis.«
    Andreas und Maria hatten sich nicht vorgestellt, was entweder niemandem auffiel, oder alle wussten, dass wir uns kannten.
    »Und nun laufen Sie nicht mehr im Kreis?«
    Kemper lachte. »Nein, jetzt bewegen wir uns in Schlangenlinien.«
    »Ich weiß nicht, Robert. Vielleicht ist es gar nicht so abwegig, was Martin gesagt hat«, meinte Julius Hartfeld und zog die
     Stirn kraus. »Wir haben nicht den Schimmer einer Ahnung, was das Motiv angeht. Möglicherweise gibt es keines. Ein Psychopath,
     der mordet, was ihm in den Weg kommt.«
    »Du meinst, es ist ihm egal, wer es ist, Hauptsache, er kann jemanden umbringen? Zufällige Opfer, wahllos?«
    »Das ist ziemlich ungewöhnlich. Ein Schlachter, ein Verrückter, der mordet um des Mordens willen?«
    Ich lehnte mich zurück, lauschte dem Gespräch. Sie schienen meine Anwesenheit vergessen
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