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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter
Autoren: Esma Abdelhamid
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Stattdessen holte ich Wasser, um seine Hände und Füße zu reinigen. Warum sagte er nichts? Ich trocknete seine Füße ab, blickte hoch zu ihm, doch er starrte in den Fernseher, wo er die letzten Nachrichten des Tages verfolgte. Ich war in der Küche, um ihm einen Teller Couscous mit Gemüse zu holen, als Vater nach mir rief. Endlich! Was wird er mir erzählen? Kann ich ihm sagen, dass ich gar nicht heiraten will? Einen Mann aus Deutschland? Die meisten Landsleute fanden Arbeit in Frankreich, warum Abdullah nicht? Ich schnitt Brot, es bröselte, goss Buttermilch in ein Glas, trug alles auf einem Tablett ins Wohnzimmer und stellte es auf das niedrige Tischchen vor den Vater. Und wartete. Doch er tat, als ob nichts gewesen sei. Was ging um Himmels willen in seinem Kopf vor? Wollte er nicht mit mir sprechen?.
    Ich lehnte an unserer großen braunen Kommode mit dem guten Geschirr, auf der die ganzen gerahmten Familienfotos standen. Die Fotos der verstorbenen Großeltern, die Hochzeitsbilder meiner älteren Schwestern und Brüder, die ersten Enkelkinder, krabbelnd und mit Schleifchen im Haar. Dazwischen eine blau-gelbe Porzellanvase mit rosa Plastiknelken. Meine Beine waren schwer, ich musste mich setzen. Dem Vater gegenüber, der schweigend seinen Eintopf löffelte und seine Buttermilch trank, wie er es immer tat, bevor er ins Bett ging. Er schaute nicht auf, der Fernseher lief, ich sollte ihn jetzt fragen: »Vater, was ist das für ein Mann, den du für mich ausgesucht hast?« Wollte ihn fragen: »Muss ich jetzt wirklich heiraten?« Aber nein, das hätte ich nicht fragen können. In meinem Innern gärte es. Sollte ich doch? Ihn fragen, warum er dieses Mal »Ja« gesagt hatte, warum ausgerechnet bei diesem Mann? Bei einem, den ich überhaupt nicht kannte und meine Familie auch nicht? Warum hatte mein Vater mich einem Mann versprochen, der mich weg aus der Stadt und weg von den Eltern bringen würde?
    Ich beobachtete ihn, ohne ihm in die Augen zu sehen, jede seiner Bewegungen. Wie gerade er seinen Arm mit dem Glas von sich hielt. Ich hörte, wie er schluckte, und roch die buttrige Milch. Als der Vater ausgetrunken hatte und mit seiner linken Hand über das nach hinten gekämmte Haar fuhr, meinte ich die Pomade auf meinen Fingern zu spüren. Ich wollte ihn fragen und Antworten hören, aber es kam kein Laut über meine Lippen. Ich wusste, dass er, wenn er spät von der Arbeit heimkam, seine Ruhe haben wollte. Bloß nicht stören, aber heute, an diesem Tag, an dem er mich versprochen hatte, war das nicht eine Ausnahme? Doch der Vater sagte nichts, und ich hielt meine Fragen krampfhaft zurück. Das tat weh, denn je mehr ich die Fragen verdrängte, desto mehr blähten sie sich auf. Bis sie mich schmerzten, wie Seitenstechen, weil ich nicht richtig atmete.
    Ich konnte meinem Vater so spät am Abend nicht mit Fragen kommen, als Mädchen schon gar nicht. Wie oft hatte ich ihn explodieren sehen, wie oft hatte er mir dann mit seiner breiten Hand ins Gesicht geschlagen oder mir seinen Stock über den Rücken gezogen. Aus nichtigen Anlässen. Manchmal griff er schon nach dem Stock, nur weil ich nicht rechtzeitig Tee nachgegossen hatte. Mein Vater war streng. »Aber gerecht«, pflegte er zu sagen, und dass die Strafe nur zu meinem Besten sei.
    Wenn ich ihn jetzt belästigen würde, würde er mich für undankbar halten. Ich saß ihm gegenüber, sah, wie seine Lider zufielen, und sah, wie sich seine buschigen Brauen verzogen, wenn er die Augen langsam wieder aufschlug. Bis er seine Hände tief im Schoß versenkte, ein wenig nach vorne kippte und einschlief.
    Ich schlief schlecht in dieser Nacht. Als ich morgens in die Küche schlich, war der Vater schon weg. Die Mutter saß mit meiner frisch verheirateten Schwester am Küchentisch, über den eine Wachstuchtischdecke mit bunten Blümchen gespannt war. Die Küche hatte nur ein winziges Fenster, die nackte Birne über der Spüle strahlte an, was direkt unter ihr war, alles andere verlief sich im öden Schummerlicht. Sie tranken Kaffee, Fatma hatte süßen Kuchen mitgebracht. Ich zog einen Holzhocker, der in der Waschecke stand, dazu und setzte mich. »Ist gut, probier«, sagte die Mutter und schob mir ein süßes Teil hin. Aber ich wollte nicht, keinen Bissen. Die beiden sprachen von Fatmas Arbeit, ich legte die Unterarme auf das Plastik und malte mit den Fingerkuppen kleine Kreisspiralen darauf. Bis die Frage zäh aus mir herausquoll: »Was habt ihr mir für einen Mann ausgesucht,
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