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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter
Autoren: Esma Abdelhamid
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Gemurmel. Eine blauschwarze Feige lag auf dem Tisch. Hatte der unbekannte Mann sie im Garten gepflückt und hereingebracht? Ich sah auf und richtete meinen Blick geradewegs auf ihn: groß und hager, sehr hager. Ein Berber, schlaksiger dunkelhäutiger Typ mit schmalen Schultern und langem Hals, den vorstehenden Adamsapfel verdeckte der große weiße Hemdkragen nur wenig. So hager, dass ich meinte, seine Rippenknochen durch den Anzug sehen zu können. Er roch nach Tabak und Zigaretten, aber schlecht sah er wirklich nicht aus.
    An seinem linken Handgelenk hatte er eine kleine Tasche hängen, die er unmerklich an der Schlaufe hin und her schaukelte. Darauf starrte ich nun, bloß nicht in seine Augen schauen, und machte ein paar Schritte auf ihn zu. Ich streckte meine Hand aus, er die seine. Wir sagten »Bonjour« auf Französisch, nicht auf Arabisch. Dann schüttelte er meine Hand: »Du bist also Esma?« – »Ja«, antwortete ich laut. Drehte mich aber sofort wieder um und lief weg, zurück in die Küche. Schnell, nichts weiter. Eine ordentlich erzogene Frau spricht leise, schlägt die Augen nieder und stellt keine Fragen.
    Das war also »mein neuer Job, der so gut zu mir passte«. Ich hätte es mir denken können. Zu etwas anderem als zur Ehefrau taugte ich nicht. »Und?«, fragte die kleine Schwester, die am Wäschewaschen war. Ich fühlte mich ausgelaugt und leer, so als ob ich den ganzen Tag nichts gegessen hätte. »Na ja, nicht schlecht, ziemlich knochig, nichts Besonderes«, antwortete ich. – »Und die grünen Augen?« – »Grüne Augen habe ich nicht gesehen.« – »Ist er nett?« – »Ja klar«, reagierte ich zaudernd, »er zeigt sich von seiner besten Seite.« Mir schwindelte, ich fühlte mich wie ein einziger gleichgültiger Brei, alles hätte man mit mir machen können. Ich setzte mich neben meine Mutter und schwieg. Wie früher in der Schule, wenn ich etwas nicht verstanden hatte. Einfach wegtauchen.
    Mit Abdullah habe ich an diesem Tag nicht mehr gesprochen, auch mit meinem Vater nicht. Er sagte nur zwei Sätze: »Samstag kommt der Notar. Wir werden die Verwandten und Nachbarn einladen.« Streng und lieblos wie immer. Abdullah kam auch am nächsten Tag, am Mittwoch und am Donnerstag und am Freitag wieder. Jeden Tag, ich war nun jedes Mal zu Hause und sah ihn meistens kurz. Viel miteinander geredet haben wir nicht. Organisatorisches. Was hätte ich ihm auch sagen sollen? Er war mein Schicksal, das ich hinnahm, ich hatte nicht gelernt, mir selbständig Gedanken zu machen oder Wünsche zu äußern. Der Vater würde mir schon den richtigen Mann ausgesucht haben. Irgendeiner hatte es ja sein müssen. Nun war es eben dieser unbekannte Hagere, dem ich Kinder gebären und eine gute Hausfrau sein sollte. Es kam mir nicht in den Sinn, mich dagegen aufzulehnen.
    Abdullah brachte jeden Tag neue Dinge für das bevorstehende Fest. Unmengen von Obst und Gemüse, er schleppte Fleisch und zum Schluss noch Kuchen an. Das war er seiner Ehre schuldig. An seinem Hochzeitstag wollte er großzügig sein. Je freigiebiger er sich zeigte, desto männlicher und wohlhabender schien er. Zeigen, was man hat, darum geht es bei einer Hochzeit. Abdullah hatte es immer sehr eilig, lange blieb er nie. Ich hatte auch nicht den Eindruck, dass er sich wirklich für mich interessierte. Er sagte wenig, stellte keine Fragen. Ich auch nicht, dabei hätte ich gerne von ihm gewusst, wo und wie er in Deutschland lebte, was er arbeitete. Wenn er mir wenigstens eine Postkarte mitgebracht hätte.
    Die Vorbereitungen für das Fest waren in vollem Gange. Es waren schweigsame Tage, ich backte und kochte und hatte weder Erwartungen noch Hoffnungen. Nur Ängste. Wenn ich fühlte, wie sie sich breitmachten, begann ich meinen Körper hin und her zu wiegen wie beim Tanzen und von einem orientalischen Prinzen zu träumen, der auf einem fliegenden Pferd heranrauschen, mich zu sich auf den Sattel heben und wieder in die Lüfte steigen würde. Immer höher. Bis wir zusammen verschwinden.
    Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich den Samstag einfach übersprungen wie ein Stein, der, flach ins Wasser geworfen, hohe Bögen hüpft. Doch der Samstag kam, gnadenlos, ein frostiger Tag und zu kalt für die Jahreszeit. Früh um halb sieben war es neblig, es dämmerte, als ich durch das große Tor in der weißen Mauer raus auf die Straße lief. Zur Friseurin ein paar Häuser weiter, sie sollte mir die langen Haare kürzen und hochstecken. Das Kleid, das ich anziehen würde,
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