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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter
Autoren: Esma Abdelhamid
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hatte ich über den Arm gelegt. Kein neu gekauftes, aber ein weißes Kleid. Es war zu weit, zwei Schwestern vor mir hatten es schon getragen, aber es war gut genug.
    »Wie geht’s?«, fragte die Nachbarin, ein paar Jahre älter als ich und schon Mutter von drei Kindern. – »Weiß nicht.« – »Geht uns allen so, wir wissen nichts«, entgegnete sie gähnend, sie hatte noch nicht ausgeschlafen. Doch dann feuchtete sie mein Haar mit einem nassen Tuch an, bürstete es glatt und steckte es mit ein paar Klammern am Kopf fest. »Wir Frauen tun, was man uns sagt«, meinte sie. »Wir sind unselbständig, aber das hat auch Vorteile. Die Männer regeln alles, wir müssen uns um nichts kümmern. Sei froh, du bekommst einen reichen Mann, der kann dir alles kaufen, was du willst, und er holt dich raus aus unserem armseligen Kaff.« – »Ich will nicht weg.« – »Deutschland, habe ich gehört, soll ein Paradies sein.« – »Ich will aber hier bleiben.« – »Sei nicht dumm, andere Mädchen wären froh darüber.« – »Gibt es in Deutschland Palmen?« – »Weiß nicht, aber ich habe gehört, dass es dort kalt ist und schneit.« Schnee – darunter konnte ich mir nur wenig vorstellen.
    Als die Friseurin fertig war, schlüpfte ich in mein Kleid und strich die Ärmel glatt. Die Nachbarin zupfte überall ein wenig herum, dann nahm sie einen Lippenstift und malte mir über die Lippen. Geld hat er, dachte ich. Das ist es doch, was sich alle Mädchen wünschen. Ich würde es kriegen. Nicht schlecht, ich werde einen Mann bekommen, der mir Schmuck und Kleider kaufen kann, wann immer ich Lust darauf habe. Oder Schokolade, Autos, Häuser, Badewannen. Von dieser Seite habe ich es noch gar nicht betrachtet. Meine Kinder würden die schönsten Kleider der Stadt tragen, und ich würde eine stolze Mutter sein. Ist der Mann denn da so wichtig? Über kurz oder lang hätte ich sowieso einen nehmen müssen. Meiner hat wenigstens Geld.
    »Freust du dich?«, fragte die Nachbarin mitten in meine Gedanken hinein und drückte mir einen weißen Kranz ins Haar. »Weiß nicht«, gab ich noch einmal zur Antwort, aber dann lachte ich zum ersten Mal in dieser Woche.
    Zu Hause war Abdullah inzwischen mit seiner Familie eingetroffen. Mutter, Vater und Geschwister, die ich nicht kannte. Er stellte sie mir vor, aber ich konnte mir ihre Namen nicht merken. Ich gab ihnen die Hand, grüßte und verschwand in unserem Kinderzimmer. Bis man mich rief, so war es Sitte. Wieder wurde die Mutter geschickt, mich zu holen. Selten war mein Wunsch, mit ihr zu sprechen, größer als in diesem Moment. Ich nahm sie an der Hand wie ein kleines Kind, ging mit ihr durch den dunklen Hausflur. Ließ sie los und folgte ihr in die Küche. Dort warf ich einen Blick in den Rasierspiegel meines Vaters, der über der Spüle hing. Meine Mutter stand hinter mir. Sie sagte mir nicht, was ich zu tun habe, nicht, wie ich mich verhalten soll. Nicht einmal, ob’s gut werden würde oder nicht, sondern nur einen einzigen Satz: »Ich weiß, dass du nicht willst, aber das wird dir nichts nützen.«
    Das war ihre Art von Mitleid. Sie hatte abgeschlossen und ließ das Leben an sich vorbeilaufen wie einen Film, kümmerte sich um nichts. Nur manchmal, wenn der Vater sehr brutal geworden war und seine Kinder grün und blau geprügelt hatte, war sie dazwischengesprungen. Doch dann hatte der Vater sie gepackt, und sie bekam den Rest. An ihren schönen langen, schwarzen Haaren schleuderte er sie durch die Küche. Wir Kinder standen hilflos herum und sahen zu. Mit schlechtem Gewissen. Wir mussten zusehen, konnten gar nicht anders, ohne ihr zu helfen.
    Ich wusste nicht, ob meine Mutter sich an diesem Tag für mich freute oder traurig war. Sie war da, nur da, wie eine Pflanze. Ich verstand sie nicht, sie mich wahrscheinlich auch nicht. Und eigentlich tat sie mir leid, weil sie keine Möglichkeit hatte, aus diesem schrecklichen Leben abzuhauen. Ich hatte die Chance, jetzt, ich musste sie nur nutzen. In Deutschland vielleicht? Aber das sollte noch lange Jahre dauern.
    Ich ging ohne Schleier zur Hochzeit, das war in unserer Familie nicht üblich. Barfuß, nur in meinem weißen Kleid lief ich jetzt ins Wohnzimmer. Ohne darauf zu achten, ob die Mutter mir hinterherkommen würde. In der Ecke neben dem Fenster hatte jemand zwei Sessel aufgestellt und einen blassgelben Vorhangstoff darübergeworfen. Ein Extraplatz für das Brautpaar.
    Der Notar war da. Mit dem Vater breitete er Papiere und unsere Ausweise auf
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