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Loewenmutter

Loewenmutter

Titel: Loewenmutter
Autoren: Esma Abdelhamid
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Vater nicht an, er war noch auf seiner Polizeiwache eine Straße weiter. Dafür kam mir die kleine Schwester schon im Garten entgegen. Tänzelnd: »Weißt du waaas? Weißt du was? Nein, du weißt nichts, gar nichts«, überfiel sie mich. »Heute war jemand für dich da.« – »Wer?« – »Er hat um deine Hand angehalten und will dich sofort heiraten.« – »Hat er etwas mitgebracht?« Das war das Einzige, woran ich denken konnte: »Schade, dass ich ihn verpasst habe.« Hochzeit und Ehe kamen in meinem Kopf nicht vor, der Vater hatte immer nein gesagt, warum sollte er dieses Mal etwas anderes sagen? »Nein, aber du hast Glück. Er wird dir bestimmt noch viele Dinge mitbringen«, plapperte die Schwester wie ein Wasserfall, indem sie um mich herumtanzte. »Er sieht toll aus und fährt ein schönes Auto.« – »Ich will ihn sehen.« – »Zu spät, Vater hat schon ja gesagt.«
    »Du hast Glück« – ich brauchte einen Moment, bis ich verstand, was meine Schwester gerade gesagt hatte. »Vater hat ja gesagt«, was bedeutete das? Dass ich heiraten würde? »Klar«, rief die Schwester. »Nein, nein«, lachte ich, gurgelnd wie immer, wenn ich unsicher war. »Aus dem Ausland, er arbeitet im Ausland«, hörte ich die Schwester. »Du hast Glück, dein Mann wird dich mit nach Deutschland nehmen.« »Ausland? Wie? Wo?«, fragte ich. »Nein, das will ich nicht. Niemals.« Was sollte das heißen? Dass ich von hier wegmusste? Ich stand in der Haustür, es traf mich wie ein Stromschlag. Unwillkürlich wich ich zurück, alles fühlte sich taub an.
    Unser Vater war als Polizist oft von einer Dienststelle zur nächsten versetzt worden, und jedes Mal musste die Familie mit. Wir sind dauernd umgezogen, aber im Grunde genommen habe ich nie etwas von einem Ort oder einer Stadt mitbekommen. Seit vielen Jahren lebten wir nun in dieser kleinen Stadt in Zentraltunesien. Hier hatte ich mich eingelebt. Wollte mich dieser unbekannte Mann tatsächlich in ein Land mitnehmen, von dem ich bisher nicht einmal wusste, dass es existiert? Deutschland, wo war das, was war das? »Du hättest sein Auto sehen sollen, total chic und rot«, rief die Schwester. »Und der Mann erst. Er ist groß, schlank. Grüne Augen hat er.«
    Ich war schockiert und schob sie ins Haus. Aber das war nun wirklich etwas Besonderes. Alle haben schwarze Haare und dunkle Augen, aber blaue oder grüne, das sieht man selten. Genauso wenig wie blonde Frauen. Aber eigentlich interessierte mich das alles überhaupt nicht. Ich war zu gelähmt, um auch nur einen einzigen Gedanken fassen zu können. Angst stieg in mir hoch, ich ging in die Küche, um mir heiße Milch mit Honig zu kochen. Mir war kalt, ich musste mich bewegen. »Er kommt wieder«, redete meine Schwester weiter. »Wann?« Wusste sie nicht. Ich hatte einen trockenen Mund, ich konnte nichts sagen und hätte doch gerne tausend Fragen gestellt. Aber meine Schwester verstand nicht, warum ich mich nicht freute, und ging zu Bett.
    Auch meine Mutter hatte sich schon schlafen gelegt. Ich wärmte mir meine klammen Finger an der heißen Milchtasse und setzte mich auf eine Matratze im Wohnzimmer. Hier würde ich auf meinen Vater warten. Den Fernseher anstellen, einen Film ansehen. Aber nein, das war nicht erlaubt. Wenn mein Vater mich beim Fernsehen erwischte, würde er sofort anfangen zu schimpfen. Also nahm ich mein Strickzeug, wenigstens Stricken hatte ich auf einer Haushaltsschule gelernt, und verharrte, ohne eine Masche abzustricken. Ich musste mit meinem Vater sprechen. Ich stand auf, legte Holz im Küchenherd nach, wusch mir die Hände und wartete.
    Die Gedanken in meinem Kopf überschlugen sich: Ich will nicht weg von hier, ich kenne nichts anderes. Wo würde ich wohnen, was essen? Ist es kalt oder warm in diesem Deutschland, gibt es wilde Tiere dort, Schlangen, Vipern? Ich kenne keinen, der je dort gewesen ist. Aber ich habe gehört, dass man da Geld verdienen kann, viel Geld. Und mein zukünftiger Ehemann? Was ist er überhaupt für einer?
    Als der Vater dann endlich nach Hause kam, beachtete er mich gar nicht. Wie immer hielt ich den Blick gesenkt, während ich ihm die Jacke abnahm und seine Schuhe wegräumte. Er schaltete den Fernseher ein und ließ sich aufs Sofa fallen, auf dem sich ein Berg aus Kissen türmte, auch ein Kamel aus braunem Plüsch, das mein Bruder einmal aus der Hauptstadt mitgebracht hatte. In mir brodelte es, doch ich traute mich nicht, ihn zu fragen: Baba, was hast du mir für einen Ehemann ausgesucht?
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