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Lockvögel

Lockvögel

Titel: Lockvögel
Autoren: A. A. Fair
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29. September dieses Jahres. Sie beklagen sich über Schlaflosigkeit, und doch war es schon ein Viertel nach zehn Uhr, als Sie erst die Morgenzeitung und die Milchflaschen von Ihrer Türschwelle aufnahmen. Um elf Uhr und zehn Minuten sind Sie dann zum Strand gegangen. Den ganzen Nachmittag über sind Sie geschwommen und Wasserski gefahren. Am Abend gingen Sie mit einem Herrn zum Tanz. Nachdem Sie das Lokal verlassen hatten, fuhren Sie über den Boulevard am Ozean entlang bis zu einem Parkplatz, von dem aus Sie einen schönen Blick über das Meer hatten. Dort blieben Sie zweieinhalb Stunden. Dann fuhr Ihr Begleiter Sie nach Hause und ging mit Ihnen in Ihre Wohnung, wo er eine Stunde und vierzig Minuten blieb.< Zur Illustration des Gesagten zeigen wir in einem Schmalfilm, wie sie in enganliegendem Badeanzug am Strand entlangläuft, den Kopf nach hinten dreht und ihren Begleiter vieldeutig anlächelt. Wir führen sie beim Baden vor und auch am Strand, wo sie in verführerischer Pose ihre Figur zur Geltung bringt. Wenn wir einen solchen Film gezeigt und sie ins Kreuzverhör genommen haben, sind die Geschworenen wohl davon überzeugt, daß der Unfall keine einschneidenden Folgen für sie gehabt und sie in ihrem täglichen Leben nicht allzusehr beeinträchtigt hat.«
    »Hören Sie mal«, unterbrach ich seinen Redeschwall, »verlangen Sie etwa von mir, daß ich wie ein Wachhund um das Mädchen herumstreiche, sie fotografiere, wenn sie zum Strand geht, herausfinde, zu welcher Zeit sie ihre Wohnungstür öffnet, um die Zeitung hereinzuholen, außerdem ihren Freund überwache und...«
    »Aber nein«, unterbrach mich Hawley. »Diese Art von Information beschaffen wir uns selbst. Dafür haben wir unsere eigenen Methoden, wir haben verborgene Kameras mit Teleobjektiven und auch sonst alles, was man für solche Zwecke braucht. Bedenken Sie bitte, wie ich an die Sache herangegangen bin. Sie erinnern sich, daß ich unser Kreuzverhör in der für uns charakteristischen Art mit den Worten einleitete: >Und wie sieht der Alltag in Ihrem Leben aus, Miss Deshler?<, wonach wir dann all das zutage fördern, was an jenem Tage geschah. Wichtig ist, daß wir sie nicht fragen, ob das wirklich ein typischer Alltag war. Das wird von unserem Anwalt einfach behauptet, wobei er gleich die ganzen Geschehnisse herunterschnurrt. Damit erweckt er den Eindruck, als hätten wir ihr Leben von dem Tage an, an dem sie Klage einreichte, bis zum Verhandlungstage restlos durchleuchtet. In Wirklichkeit haben wir sie natürlich nur ein paar Tage lang beschattet, und es mag durchaus sein, daß sie gerade an diesen Tagen außergewöhnlich aktiv war. Wir aber nehmen das natürlich nicht zur Kenntnis, sondern behaupten einfach, ein solcher Tagesablauf sei typisch für das Mädchen. Und dann kommen wir mit unserem Film und einem umfangreichen Aktenstück. Damit erzielen wir bei den Geschworenen den gewünschten Eindruck und schüchtern gleichzeitig die Zeugin ein, da sie nicht weiß, was wir sonst noch alles über sie in Erfahrung gebracht haben. Mit anderen Worten, sie gewinnt den Eindruck, wir hätten sie Tag für Tag und Nacht für Nacht beobachtet, jede Minute.«
    »Verstehe«, antwortete ich.
    »Na, Lam, machen Sie nicht so ein Gesicht«, sagte Hawley. »Wir haben es nämlich mit einer Gangsterbande zu tun. Es gibt eine Menge Leute, die sich auf angebliche Schadensfälle mit allen erdenklichen Kniffen spezialisiert haben. Nehmen wir einmal diese Vivian Deshler. Auf den ersten Blick scheint sie ein armes, alleinstehendes Wesen zu sein, das wir mit unserer mächtigen Allianz in die Pfanne hauen wollen. In Wirklichkeit steht sie aber gar nicht so allein da, sondern hat eine ganze Organisation hinter sich. Sie hat einen Anwalt, der —«
    »Wer ist ihr Anwalt?« unterbrach ich ihn.
    »Das weiß ich noch nicht«, sagte Hawley. »Bis jetzt hat sie noch keine Klage eingereicht. Sie hat nur ihren Schadensanspruch angemeldet, ohne schon vor Gericht zu gehen. Sicher aber ist, daß sie einen Anwalt haben wird. Und dieser Anwalt wird auf solche Fälle spezialisiert und Mitglied einer Organisation sein, die ihm Hilfestellung leistet. Diese Hilfestellung geht folgendermaßen vor sich: Sobald einer der zur Organisation gehörigen Anwälte irgendeinen kleinen Trick ausknobelt, durch den man die Geschworenen zu einem günstigeren Urteil veranlassen kann, leitet er diesen an alle Mitglieder der Vereinigung weiter.«
    »Dann treiben Sie also den Teufel mit dem Beelzebub aus?«
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