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Lockruf der Vergangenheit

Lockruf der Vergangenheit

Titel: Lockruf der Vergangenheit
Autoren: wood
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glaubte nicht an die Krankheit. Aber es gibt sie! Es gibt sie!« Sie begann zu husten.
    »Großmutter.« Colin beugte sich tief zu ihr hinunter und legte seine Hand auf ihre Schulter. »Großmutter«, sagte er noch einmal mit fester Stimme. »Die Krankheit gibt es nicht. Sir John hat dir die Wahrheit gesagt. Michael hatte sie sich wirklich nur ausgedacht.« Aber sie schien ihn nicht zu hören. »Dann bekam ich heraus, wo Jenny und Leyla waren und daß Leyla heiraten wollte. Das konnte ich nicht zulassen. Sie hätte Kinder bekommen und den Fluch weitergegeben. Darum lockte ich sie mit dem Brief hierher – «
    »Du!« flüsterte ich.
    »Und um sicherzugehen, daß Leyla bleiben würde, als sie einmal hier war«, fuhr sie fort, »befahl ich ihr immer wieder mit allem Nachdruck, von hier fortzugehen. Ach, wie gut ich die Menschen kenne!« Ich senkte den Kopf und hielt die Tränen zurück. Die Haut um Augen und Lippen meiner Großmutter nahm einen bläulichen Schimmer an.
    »Diese Leyla – ein so störrisches und hartnäckiges Ding! Sie wollte diesem Bräutigam in London einen Brief schicken. Aber ich fing ihn ab und verbrannte ihn…« Ich hob den Kopf und sah Colin an. Aber er schien weit entfernt.
    »Und der Ring?« fragte ich. »Was ist mit dem Rubinring?«
    »Der Ring?« wiederholte meine Großmutter flüsternd, beinahe am Ende ‘ ihrer Kraft. »Er gehörte Richard. Ich fürchtete, man könnte die Geschichte, daß Robert zuerst seinen Sohn und dann sich getötet hatte, nicht glauben. Einen Beweis hinterlassen, dachte ich, damit ein anderer in Verdacht kommt.« Sie sprach jetzt zusammenhanglos. »Richard merkte nicht, daß der Ring weg war. Auf den Boden geworfen. Er sollte später gefunden werden.« Sie runzelte angestrengt die Stirn. »Aber Colin – hob ihn auf… War sowieso nicht gut. Alle glaubten Roberts Wahnsinn. Ring war überflüssig…«
    Während meine Großmutter weiter vor sich hinmurmelte, sah ich wieder zu Colin, der plötzlich zu Tode erschöpft aussah. »Mein Vater trug diesen Ring«, sagte er so leise, daß nur ich ihn hörte. »Ich fand ihn in einer Blutlache und glaubte, mein Vater hätte die Morde begangen. Ach, Leyla…«
    Ich neigte mich zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter. Am liebsten hätte ich geweint. »Du wolltest ihn schützen«, flüsterte ich. »Verdammt!« kreischte meine Großmutter plötzlich mit schriller Stimme. Nichts war geblieben von der Tyrannin, die in diesem Haus mit harter Hand geherrscht hatte. Meine Großmutter war nur noch eine vom Tod gezeichnete alte Frau. »Ich habe kommende Generationen vor Schmerz und Leid bewahrt, indem ich die Familie der Pembertons auslöschte. Ich habe Gutes getan.« Sie wälzte den Kopf auf dem Kissen hin und her. »Jetzt sind sie alle tot. Auch Leyla wird bald tot sein. Und Martha…« Ihre Stimme klang blechern. »Martha brauche ich nicht zu vergiften. Sie wird niemals heiraten. Sie ist über das Alter hinaus. Sie findet keinen Mann mehr. Da ist nichts zu fürchten. Martha kann ruhig hier weiterleben, zusammen mit Colin, und – und – «
    »Du widerwärtiges altes Frauenzimmer«, schrie Martha plötzlich außer sich. »Du hast mein Leben auf dem Gewissen. Ich wollte lieben, heiraten und Kinder bekommen. Aber du, du egoistische alte Frau, du hast es mir nicht erlaubt. Ich war dumm! Dumm! Ich hätte längst fortgehen sollen, als ich noch jung war und – «
    »Aber die Krankheit!«
    »Ich pfeife auf die Krankheit. Wenn ich daran sterben soll, dann werde ich eben daran sterben. Aber vorher wollte ich leben! Aber du, du Hexe, du hast mich zur Verzweiflung getrieben, du hast mich zum Diebstahl gezwungen – « Martha brach ab und sah plötzlich mich an. »Ja, zum Diebstahl!« schrie sie mich an. »Glaubst du vielleicht, es hat mir Spaß gemacht, wie eine Nonne zu leben, Leyla? Ich bin zweiunddreißig Jahre alt. Ich bin eine alte Jungfer. Und Großmutter hätte mir keinen Penny gegeben, wenn ich dieses Haus verlassen hätte. Darum mußte ich stehlen, um genug Geld für eine Flucht zusammenzubringen. Was hätte ich denn sonst tun können? Ich bin eine alleinstehende Frau. Ich habe keinen Mann, der mich beschützt und für mich sorgt. Was meinst du wohl, wie weit ich ohne Geld gekommen wäre? Darum habe ich gestohlen. Ja, ich habe meine eigene Familie bestohlen.«
    Mit diesen Worten packte sie den Pompadour, der zu ihren Füßen stand und schleuderte ihn aufs Bett. Er öffnete sich, und Garn und Wolle, lange und kurze Nadeln fielen
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