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Lockruf der Vergangenheit

Lockruf der Vergangenheit

Titel: Lockruf der Vergangenheit
Autoren: wood
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wichtig konnte die Sache nicht sein. »Ich breche jetzt auf, Colin. Ich will zuerst noch einen Spaziergang machen, und dann gehe ich ins Wäldchen. Wenn ich mich an irgend etwas erinnern sollte, erzähle ich es dir heute abend.«
    Zu meiner Überraschung sprang er auf und kam um den Tisch herum zu mir. Sein Gesicht war angespannt, als er sagte: »Versprich mir eines, Leyla: daß ich es als erster erfahre, wenn du dich an irgend etwas erinnerst.«
    »Aber natürlich!«
    »Ich meine, ganz gleich, was du entdeckst, du mußt zuerst zu mir kommen. Versprichst du mir das?«
    Sein ungestümes Drängen beängstigte mich. »Ja, Colin, ich verspreche es dir.«
    Er lächelte beruhigt. »Ich habe Angst um dich, Leyla. Ich wünschte, ich könnte dich dazu bewegen, von hier fortzugehen. Nein, schüttle nicht den Kopf; deine Manieren sind ja so schlecht wie meine. Wie du willst, so soll es sein. Ich beuge mich.«
     
     
    Der Tag erschien mir ungewöhnlich kalt und finster, und als ich vom Haus wegging, hatte ich das Gefühl, daß jemand mich beobachtete. Nur einmal drehte ich mich um und blickte zurück. Die Fenster waren dunkel, zum Teil hinter geschlossenen Läden verborgen. Ich sah niemanden, keine Bewegung, nichts, und ich konnte mir auch nicht vorstellen, wer mich beobachten sollte. Theo und Martha hatten kaum reagiert, als meine Teetasse umgekippt war, schienen an meinem körperlichen Befinden überhaupt nicht interessiert. Das konnte natürlich Tarnung sein. Wenn einer der beiden mich langsam vergiftete, ging er dabei sehr geschickt zu Werke.
    Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Das war vermutlich auch der Grund, warum ich mir einbildete, heimliche Blicke auf mir zu spüren. Auch der Spaziergang konnte mich nicht beruhigen. Ich hatte nur den Wunsch, dies alles endlich hinter mich zu bringen, und ich wußte, daß das nur geschehen konnte, wenn meine Erinnerungen wiederkehrten.
    Während ich dastand und zum Wäldchen hinuntersah, überfiel mich ein merkwürdiges Gefühl. Es war beinahe so, als wüßte ich, daß dort unten etwas geschehen würde, daß ich nicht wieder und wieder würde zurückkehren müssen, um das Geheimnis aufzudecken. Es gab jetzt keine Umkehr mehr. Ich war entschlossen, mir meine Vergangenheit zurückzuholen. Die kahlen Akazien, denen ich mich jetzt langsam näherte, hüteten ein Geheimnis, das mir gehörte, und ich würde es ihnen entreißen. Ich wurde wieder zu der kleinen Bunny, als ich mit flatterndem Umhang am Rand des Wäldchens stand. Ich war ein neugieriges kleines Mädchen auf der Suche nach Vater und Bruder, die Minuten zuvor hier zwischen den Bäumen verschwunden waren. Während ich mit meinen Blicken das Gewirr der Baumstämme und Äste zu durchdringen suchte, spürte ich, wie ich mich langsam, unmerklich beinahe, zu verwandeln begann. Abwartend stand ich unbewegt im Wind und starrte in die Bäume. Es geschah. Ich begann mich zu erinnern.
    Auf kleinen Füßen trippelte ich über die weiche Erde und achtete sorgsam darauf, daß ich nirgends mit meinem Kleidchen hängenblieb. Mutter würde schimpfen, wenn ich es schmutzig machte oder gar zerriß. Aber Vater und Thomas waren dort drinnen, und ich möchte mit ihnen spielen.
    Ich ging hinein. Meine Augen sahen alles anders, groß wie Riesen die dunklen Bäume, Wächter über ein Märchenland, das in meiner Phantasie mit Elfen und Kobolden bevölkert war. Vor mir hörte ich etwas. Vater? dachte ich.
    Mutig marschierte ich weiter. Ferne Geräusche drangen an mein Ohr – das Gelächter eines kleinen Mädchens, der Schrei eines Vogels hoch in den Bäumen. Ich befand mich jetzt in einer anderen Welt – der Welt eines fünfjährigen Kindes. Ich erinnerte mich.
    Plötzlich blieb ich stehen. Da war der faulende Baumstumpf. Dort der glatt geschliffene Felsbrocken. Die moosgrüne alte Mauer. Und Geräusche – Geräusche, die nicht hierher gehörten, Kampfgeräusche. Vor einer Kulisse dichtstehender Bäume und feuchter Erde sah ich schattenhafte Gestalten. Zwei Erwachsene waren es und ein kleiner Junge. Ich lächelte. Ich kannte sie alle drei. Jetzt wurden sie klarer. Plötzlich hatte ich ein deutliches Bild meines Vaters – groß und imposant, Henry sehr ähnlich, aber jünger, mit schwarzem Haar und den markanten Gesichtszügen der Pembertons. Er zeigte Thomas eine Kröte. Die dritte Person stand im Verborgenen, unsichtbar für die beiden anderen.
    Wie in Trance stand ich unter den Bäumen und starrte auf die Bilder, die nur ich sehen konnte. Die
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