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Lockruf der Vergangenheit

Lockruf der Vergangenheit

Titel: Lockruf der Vergangenheit
Autoren: wood
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verwechselt und sie für Erinnerungen gehalten. Sag ehrlich, Leyla, hättest du mir denn damals getraut?«
    »Ich – ich weiß es nicht. Es ist alles so unglaublich, Colin. Wer kann es getan haben? Hast du denn gar keinen Verdacht?«
    »Verdächtig ist im Grunde jeder.« Er wandte sich von mir ab und begann wieder, auf und ab zu gehen. »Ich habe nächtelang wachgelegen und gegrübelt. Beweggründe gab es für jeden genug. Mein eigener Vater oder Onkel Henry konnten es getan haben, um ihren Anteil am Erbe zu vergrößern. Aber Henry kann es nicht gewesen sein, denn er ist jetzt selbst tot. Und mein Vater kann es nicht gewesen sein, denn er kam vor vielen Jahren ums Leben, und seitdem hat es zwei weitere Todesfälle gegeben.«
    »Die drei Söhne Sir Johns waren Opfer und nicht Täter. Aber hast du mal an Theo gedacht? Könnte er einen Grund haben?« Colin blieb plötzlich stehen. »Theo? Leyla, gerade ihm mußte der Tod deines Vaters sehr gelegen kommen. Aber das weißt du ja nicht.«
    »Aber warum?«
    »Theo liebte deine Mutter.« Ich wich einen Schritt zurück. »Was?«
    »Theo war damals achtzehn«, erzählte Colin, »und deine Mutter fünfundzwanzig. Sie war eine sehr schöne Frau. Theo gab sich überhaupt keine Mühe, seine Gefühle für sie zu verbergen. Und er zeigte auch offen seine Bitterkeit darüber, daß er sie nicht haben konnte. Theo haßte deinen Vater, Leyla, und alle wußten es.«
    »Wie seltsam…« Ich dachte an den Abend vor fast einer Woche, als Theo in mein Zimmer gekommen war. Mir war sofort aufgefallen, wie ungewöhnlich er sich verhielt. Ich wußte noch, daß ich den Eindruck gehabt hatte, er sähe gar nicht mich, sondern eine andere. Jetzt hatte ich die Erklärung.
    »Und Tante Anna war eine Mutter jener Art, die allen Fehlern ihrer Söhne gegenüber blind sind. Vielleicht meinte sie, Theo solle Jennifer ruhig haben. Vielleicht hegte sie aus unbekannten Gründen einen Groll gegen deinen Vater. Es ist möglich, daß auch Tante Anna das Erbe ihres Mannes vergrößern wollte und darum deinen Vater tötete.«
    »Und Martha?«
    »Sie war damals erst zwölf, Leyla.«
    »Und was ist mit Großmutter?«
    »O ja, sie dürfen wir nicht vergessen. Sie ist eine harte Frau, und ich könnte mir denken, daß sie unter gewissen Umständen vor einem Mord nicht zurückschrecken würde. Aber warum sollte sie ihre eigenen Söhne töten? Alle drei? Sie liebte deinen Vater sehr, das wußte jeder. Und sie hatte auch deine Mutter gern. Großmutter wünschte, daß das Erbe gleichmäßig zwischen ihren drei Söhnen aufgeteilt werden würde. Ich kann da keinen Grund sehen, auch wenn wir sie natürlich nicht außer Acht lassen können.«
    »Mein Gott, Colin, wer kann es nur gewesen sein?« fragte ich. »Ja, wer kann es gewesen sein, Leyla? Und was ist der Grund für die Morde?«
    »Ich wollte, ich könnte mich erinnern.«
    »Geh noch einmal ins Wäldchen, Leyla. Geh bald, ich bitte dich. Ich habe große Angst um dich.«
    Er kam zu mir und nahm mich wieder in seine Arme. Den Kopf an seinem Hals, wünschte ich aus tiefster Seele, daß dieser Alptraum endlich enden möge, damit ich mein gemeinsames Leben mit Colin beginnen konnte. Und es gab für mich nur einen Weg, dem Alptraum ein Ende zu bereiten: Noch einmal das Wäldchen aufsuchen…

 
    14
     
     
     
    Nach einer fast schlaflosen Nacht war ich froh, als endlich das erste graue Licht in mein Zimmer fiel. Aufgeregt und ungeduldig begrüßte ich den neuen Tag, dessen Beginn ich kaum erwarten konnte und vor dem ich gleichzeitig so große Angst hatte.
    Colin vor allem galten meine Gedanken, den Stunden, die wir oben im dunklen Turmzimmer miteinander verbracht hatten. Während ich aus dem Fenster in das kalte Grau des Morgens hinausblickte, gab ich mich schönen Erinnerungen hin, an seinen Kuß, seine leidenschaftliche Umarmung, die Worte, mit denen er mir seine Liebe erklärt hatte. Nur Stunden war es her, daß wir uns getrennt hatten, aber mir schien es eine Ewigkeit zurückzuliegen.
    Beim Ankleiden dachte ich daran, was ich mir für diesen Tag vorgenommen hatte. Noch einmal würde ich heute ins Wäldchen zurückkehren und versuchen, mir die Geschehnisse ins Gedächtnis zu rufen, deren Zeugin ich vor zwanzig Jahren geworden war. Diesmal jedoch würde es anders sein als beim erstenmal; diesmal wußte ich mit Sicherheit, daß damals ein Mord verübt worden war. Und diesmal war es noch wichtiger für mich, meiner Erinnerungen habhaft zu werden, denn nun war auch mein Leben
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